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Eine wie Alaska

Titel: Eine wie Alaska Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Green
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Colonel ließ meinen Pullover los, und ich bückte mich und hob die Zigaretten auf. Ich schrie nicht, ich schlug nicht um mich, die Adern auf meiner Stirn traten nicht hervor, ich war ganz ruhig. Ganz ruhig. Ich sah zum Colonel hinab und sagte: »Fuck you.«
     
    Später traten mir die Adern auf der Stirn hervor, und ich schrie, nachdem ich den Highway runtergerannt war, über die Schlafsaalwiese und über die Sportplätze, die Schotterstraße runter zur Brücke, und ich plötzlich in der Rauchergrotte stand. Ich packte einen blauen Plastikstuhl und schleuderte ihn gegen die Mauer, und das Krachen von Kunststoff auf Beton hallte unter der Brücke, während der Stuhl schlapp zur Seite kippte, und dann lag ich auf dem Rücken mit den Beinen über dem Abgrund und schrie. Ich schrie, weil der Colonel ein selbstgerechtes, aufgeblasenes Arschloch war, und ich schrie, weil er recht hatte, ich wollte glauben, dass ich eine geheime Liebesaffäre mit Alaska hatte. Hatte sie mich geliebt? Hätte sie Jake meinetwegen verlassen? Oder war es nur einer ihrer Impulse gewesen? Es reichte mir nicht, der Letzte zu sein, den sie geküsst hatte. Ich wollte der Letzte sein, den sie geliebt hatte. Und ich wusste, dass ich das nicht war. Ich wusste es, und dafür hasste ich sie. Ich hasste sie, weil sie mich nicht geliebt hatte. Ich hasste sie, weil sie in der Nacht gegangen war, und mich hasste ich auch, nicht nur, weil ich sie hatte gehen lassen, sondern auch, weil sie nie gegangen wäre, wenn ich ihr genug gewesen wäre. Sie wäre bei mir geblieben, hätte geredet und geweint, und ich hätte ihr zugehört und ihr die Tränen weggeküsst, die sich in ihren Augen sammelten.
    Ich drehte den Kopf und sah ihren kleinen blauen Plastikstuhl auf der Seite liegen. Ich fragte mich, ob es je wieder einen Tag geben würde, an dem ich nicht über Alaska nachdenken würde, und ich fragte mich, ob ich hoffen sollte, dass die Zeit kam, wenn sie nur noch eine blasse Erinnerung wäre – jemand, an den man nur an seinem Todestag denkt, oder ein paar Wochen später, wenn einem einfällt, dass man es vergessen hat.
    Ich wusste, dass es in meinem Leben noch mehr tote Menschen geben würde. Nach und nach würden sich die Leichen stapeln. Doch gab es für jeden davon einen eigenen Platz in der Erinnerung? Oder würde ich mit jedem Tag meines Lebens ein wenig von Alaska vergessen?
    Einmal, im Spätsommer, waren wir zur Rauchergrotte gegangen, sie und ich, und sie war mit Flipflops in den Creek gesprungen. Sie stakste im Bachbett herum, vorsichtig auf den glitschigen, moosigen Steinen, und nahm sich vom Ufer einen feuchten Stock. Während ich mit baumelnden Füßen auf der Mauer saß, drehte sie mit dem Stock die Steine um und zeigte mir die davonrennenden Flusskrebse.
    »Man kocht sie und saugt ihnen die Köpfe aus«, erklärte sie begeistert. »Da ist das leckere Zeug drin – in den Köpfen.«
    Sie hatte mir alles beigebracht, was ich über Flusskrebse und Küssen und süßen Wein und Gedichte wusste. Sie hatte einen anderen Menschen aus mir gemacht.
    Ich zündete mir eine Zigarette an und spuckte in den Bach. »Du kannst nicht einfach einen anderen Menschen aus mir machen und dann abhauen«, sagte ich laut. »Vorher war ich zufrieden, Alaska. Ich war zufrieden, ich allein und letzte Worte und zwei, drei Klassenkameraden. Du kannst nicht einfach kommen und einen anderen Menschen aus mir machen und dann sterben.« Sie war mein großes Vielleicht gewesen – sie hatte mir bewiesen, dass es sich lohnte, mein kleines Leben hinter mir zu lassen für ein größeres Vielleicht. Doch jetzt war sie fort und mit ihr meine Zuversicht. Zu allem, was der Colonel sagte und tat, konnte ich »von mir aus« sagen, ich konnte so tun, als wäre mir wieder alles egal, wie früher, aber das war es nicht. Es würde nie wieder so sein. Du kannst dich nicht einfach in jemandes Leben mischen und dann sterben, Alaska, denn jetzt bin ich unwiderruflich ein anderer, und, ja, es tut mir leid, dass ich dich habe gehen lassen, aber du hast die Wahl getroffen. Du hast mich vielleichtlos zurückgelassen, verirrt in deinem gottverdammten Labyrinth. Und ich weiß nicht einmal, ob du den schnellen und direkten Weg raus mit Absicht genommen hast, ob du mich absichtlich allein gelassen hast. Ich habe dich nie wirklich gekannt, oder? Ich erinnere mich nicht, weil ich es nie wusste.
    Und als ich aufstand, um nach Hause zu gehen und mit dem Colonel Frieden zu schließen, versuchte ich, sie mir auf

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