Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Eine wie Alaska

Titel: Eine wie Alaska Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Green
Vom Netzwerk:
ich.
    »Ach ja?«, fragte sie.
    »Nein. Das waren seine letzten Worte. Jemand sagte: ›Mr. President, Sie können nicht behaupten, dass Dallas Sie nicht liebt‹, und darauf sagte er: ›Das ist offensichtlich‹, und dann haben sie ihn erschossen.«
    Sie lachte. »Gott, das ist ja furchtbar. Ich sollte nicht lachen. Aber ich tu’s trotzdem«, und dann lachte sie wieder. »Also gut, Mister Berühmte Letzte Worte. Ich hab was für dich.« Sie griff in ihren vollgestopften Rucksack und zerrte ein Buch heraus. »Gabriel García Márquez. Der General in seinem Labyrinth. Eins meiner absoluten Lieblingsbücher. Es geht um Simón Bolívar.« Ich wusste nicht, wer Simón Bolívar war, aber sie ließ mir keine Zeit zu fragen. »Es ist ein historischer Roman, deswegen weiß ich nicht, ob es stimmt, aber in dem Buch hier, weißt du, was da seine letzten Worte sind? Nein, weißt du nicht. Aber ich sage es dir, Señor Abschiedsbemerkungen.«
    Und dann zündete sie sich eine Zigarette an und saugte so lange so fest daran, dass ich fürchtete, die ganze Zigarette würde in einem Zug abbrennen. Sie blies den Rauch aus und las mir vor:
    »Ihn – also Simón Bolívar – durchschauerte die überwältigende Offenbarung, dass der wahnsinnige Wettlauf zwischen seinen Leiden und seinen Träumen in jenem Augenblick das Ziel erreichte. Der Rest war Finsternis. ›Verflucht noch mal!‹, seufzte er. ›Wie komme ich bloß aus diesem Labyrinth heraus? ‹ 1 «
    Starke letzte Worte erkannte ich auf Anhieb, und ich beschloss, mir eine Biografie von diesem Simón Bolívar zu besorgen. Es waren wunderbare letzte Worte, auch wenn ich sie nicht ganz verstand. »Und was ist das für ein Labyrinth?«, fragte ich.
    Und jetzt ist ein guter Zeitpunkt, davon zu reden, wie schön sie war. Wie sie neben mir in der Dunkelheit saß und nach Mädchenschweiß und Sonnenschein und Vanille roch in dieser von einem schmalen Mond erhellten Nacht, in der ich kaum mehr sah als ihre Silhouette, außer wenn sie an ihrer Kippe zog, wenn ihr Gesicht von der glühenden Kirsche ihrer Zigarette in blassrotes Licht getaucht wurde. Doch selbst im Dunkeln konnte ich ihre Augen sehen – wie funkelnde Smaragde. Sie hatte die Art von Augen, die einen von vorneherein dazu verdammen, alles, was sie tat und sagte, gut zu finden. Und sie war nicht nur schön, sie war auch sexy: ihre Brüste unter dem engen Hemdchen, ihre schön geschwungenen Beine, die unter der Schaukel baumelten, die Flipflops, die an ihren knallblau lackierten Zehen schaukelten. Genau in diesem Moment, nachdem ich die Frage nach dem Labyrinth gestellt hatte und bevor sie antwortete, wurde mir mit einem Mal die wahre Bedeutung von Kurven klar, von diesen tausend Stellen, an denen Mädchenkörper von einer Stelle in die nächste übergehen, vom Bogen des Fußes zum Knöchel zur Wade, von der Wade zur Hüfte zur Taille zur Brust zum Hals zur geschwungenen Nase zur Stirn zur Schulter zum gewölbten Bogen ihres Rückens zu ihrem Hintern zu usw. Ich hatte natürlich schon früher Kurven wahrgenommen, nur hatte ich sie bis heute Abend nie in ihrer vollen Bedeutung begriffen.
    Ihr Mund war so nah, dass ich ihren warmen Atem in der Abendluft spürte, als sie sagte: »Das ist das Rätsel, verstehst du? Ist es das Labyrinth des Lebens oder des Todes? Wem will er entkommen – der Welt oder ihrem Ende?« Ich wartete, dass sie fortfuhr, aber nach einer Weile begriff ich, dass sie von mir die Antwort wollte.
    »Äh, keine Ahnung«, sagte ich schließlich. »Hast du wirklich all die Bücher gelesen, die in deinem Zimmer stehen?«
    Sie lachte. »Gott, nein. Ein Drittel vielleicht. Aber ich werde sie alle lesen. Ich nenne es die Bibliothek meines Lebens. Jeden Sommer, seit ich klein war, hab ich auf Flohmärkten alle Bücher gekauft, die interessant aussahen. So hab ich immer was zu lesen. Dabei gibt es immer so viel zu tun: Kippen zu rauchen, Sex zu haben, auf Schaukeln zu schaukeln. Zeit zum Lesen hab ich wohl erst, wenn ich alt und langweilig geworden bin.«
    Sie erzählte mir, dass ich sie an den Colonel erinnerte, damals, als er neu in Culver Creek war. Die beiden waren zusammen in die Neunte gekommen, beide mit Stipendien. Und sie hatten schon damals eine »Leidenschaft für Schnaps und Unfug« geteilt, wie sie es ausdrückte. Als ich Schnaps und Unfug hörte, fragte ich mich, ob ich da in genau das reingestolpert war, was meine Mutter »die falschen Kreise« nannte. Doch für falsche Kreise wirkten beide überraschend

Weitere Kostenlose Bücher