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Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)

Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)

Titel: Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Vogel
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eine an.
    Rost warf einen Blick auf den schütteren, farblosen Bart seines Gesprächspartners und verspürte mit einem Mal Langeweile. Wozu diese ganze Unterhaltung? Dummes Wortgeplänkel. Er wandte das Gesicht dem Saal zu und musterte die anderen Gäste. Drei Tische weiter saßen vier Leute um einen mittelgroßen Tisch: zwei Paare, ein älteres und ein junges. Eltern und Kinder, nahm Rost auf gut Glück an. Dann betrachtete er sich jeden Einzelnen genauer. Der ältere Mann, den Rost im Profil sah – helle, blankpolierte Kugel mit graumeliertem Haarkranz, sture Knollennase über einem dichten Schnauzer mit hochgezwirbelten Enden im feisten, runden Gesicht und rosiger Flaum auf den Wangenknochen – , war in eine Zeitung vertieft. Der Familienvater, vermutlich aus Ungarn oder Böhmen stammend, schätzte Rost, um sich irgendwie abzulenken. Wenn er dem Offizier etwas erwiderte, konnte es ja ewig so weitergehen, man durfte ihn nicht noch anfeuern! Die Frau an der Seite des Familienvaters, zwischen vierzig und fünfzig Jahre alt, versuchte offenbar, mit Puder und anderen Kosmetika sowie mit Kleid und Hut nach der neuesten Mode den Zahn der Zeit aufzuhalten. Sie blätterte in Illustrierten, sichtlich bemüht, unverwandt ein jugendlich kokettes Lächeln im Gesicht zu bewahren. Die junge Frau sah ihr ähnlich. Ihre Tochter also. Brünett mit braunen Augen, die nicht hässlich, aber ausdruckslos waren. Ein hübsches Mädchen von etwas banaler Schönheit. Gelangweilt oder nervös nippte sie ab und zu an einem der Wassergläser auf dem Nickeltablett, und mit langen Pausen sagte sie ein paar Worte zu dem jungen Mann neben sich, ihrem Verlobten oder Zukünftigen, der sie begierig mit Reden überhäufte. Er war ein hagerer Bursche mit goldenem Kneifer auf der Nase des künftigenGelehrten, spärlichem Bartansatz und großen, hochroten, abstehenden Ohrmuscheln.
    Sie spürte Rosts Blick auf sich ruhen und wandte ihm einen Moment verwundert die Augen zu, drehte sie gleich wieder weg, als ignoriere sie ihn, und sah ihn dann erneut an.
    Der da langweilt sie, das ist klar, urteilte Rost mit leisem, zufriedenem Lächeln, das das Mädchen sich wohl zugutehielt und flüchtig erwiderte, bis der Jüngling das stumme Spiel entdeckte und seinen Kneifer auf Rost richtete, bereit, wie ein wilder Stier auf ihn loszugehen.
    Rost begann Interesse daran zu finden. Er stand ohne Eile auf und ging zur Verblüffung des Mädchens auf den Tisch der vier zu. »Gestatten Sie, die Dame, diese hier kurz auszuleihen«, er deutete auf eine der Illustrierten, »nur für einen Moment?«
    »Die habe ich noch nicht gelesen«, antwortete die Mutter anstelle der Tochter, »in einer Viertelstunde, mein Herr, wenn Sie möchten.«
    Rost bedankte sich mit einer höflichen Verbeugung, lächelte der jungen Dame vieldeutig zu und ging an seinen Platz zurück, begleitet von den Blicken des jungen Mannes, die er wie Lanzen im Rücken spürte. Er setzte sich gemächlich und schlug vergnügt die Beine übereinander.
    Felix von Brunnhof löste sich aus seinen trüben Gedanken, versuchte Rost zu überreden, einen mit ihm zu heben, und bestellte nach dessen hartnäckiger Weigerung allein für sich gleich drei Gläschen grünen Likör, die er eins nach dem anderen, ohne Pause, hinunterschüttete.
    »Dieser trübe Tag schlägt mir etwas aufs Gemüt«, sagte er entschuldigend, »manche feinfühlige Menschen reagieren auf Wetterumschwünge wie ein Barometer. Bei mir ist das nicht immer so, nur heute zufällig.«
    Er hatte Rost ins Kaffeehaus eingeladen, in der vagenHoffnung, sich dort mit ihm unterhalten zu können, wenn auch nicht über die wichtigen Dinge, die ihn bewegten, und sich so etwas Erleichterung zu verschaffen, ein wenig von der drückenden Last abzuschütteln. Jetzt merkte er, dass das unmöglich war, und gab es völlig auf. Plötzlich überflutete ihn eine Welle blinder Wut auf sich selbst, auf den jungen Mann ihm gegenüber, gegen Unbekannt. Er wurde sogar etwas rot vor Erregung. Ah, könnte er jetzt nur mit jemandem raufen, knallharte Schläge austeilen und sogar welche einstecken, ein widerspenstiges Pferd zähmen, einen schweren Widerstand überwinden! In einem verborgenen Winkel seiner Seele war er beleidigt, dass er, Felix Freiherr von Brunnhof, sein Herz einem fremden, ihm unbekannten jungen Mann offenlegte, einem verdächtigen fliegenden Gast. Dass er ihn bei Peter Dean getroffen hatte, war noch keine Garantie. Der war fähig, sich mit jedem Mann von der Straße

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