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Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)

Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)

Titel: Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Vogel
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anzufreunden, auch mit Gesindel. Sein Vorleben lag überhaupt im Nebel, man sagte ihm allerlei faule Sachen nach. Er hatte das Gefühl, Rost tatsächlich sein intimstes Geheimnis verraten zu haben, was er weder sich noch Rost verzeihen konnte. Giftig fauchte er: »Sie meinen sicher, Sie würden mich interessieren, ha?«
    Rost musterte ihn einen Moment verwundert. Dann nahm sein Gesicht einen spöttischen Ausdruck an. »Ja, ich meine, Sie interessieren sich für mich«, und fügte hinzu: »Warum trinken Sie?«
    »Das geht Sie nichts an.«
    »Sie achten die kaiserliche Uniform etwas gering, finde ich«, sagte Rost ruhig, mit spöttischem Unterton. Die Langeweile? Wie weggeblasen, zuckte es ihm durch den Kopf. Der ist gar nicht so blutleer, wie ich gedacht habe. Gleich lege ich noch eine Schippe Kohlen nach …
    »Sie wollen mir Belehrungen erteilen? Wer sind Sie denn?«
    »Ich? Moment mal!« Rost stand auf, schlängelte sich zwischen den Tischen zu den beiden Paaren durch. Jetzt war die Illustrierte frei. Die junge Dame streckte sie ihm mit freundlichem Lächeln entgegen, wie einem alten Bekannten.
    »Jetzt stehe ich Ihnen zu Diensten, Herr Offizier«, sagte er, als er sich wieder gesetzt hatte, »soll ich mich Ihnen gleich vorstellen?«
    »Sie sind unverschämt!«, schäumte der Offizier.
    »Auch möglich«, lachte Rost. Er begann, lustlos die Illustrierte durchzublättern, ließ dabei hin und wieder einen Blick zum Tisch des Mädchens wandern. Ihr Vater hatte mittlerweile den Kopf aus seiner Zeitung gezogen, paffte eine enorme Zigarre und starrte vor sich in den Raum. Rost sah auf seine Uhr.
    »Möchten Sie gehen? Und ich hatte gedacht, wir würden gemeinsam das Nachtessen einnehmen und den Abend miteinander verbringen.«
    »Und alles auf diese Art und Weise?«
    »Nichts für ungut. Ich bin heute in Missstimmung verfallen. Das hat gar nichts mit Ihnen zu tun, das können Sie mir glauben.«
    »Tut mir leid, aber ich muss jetzt weg. Jedenfalls können wir uns ein andermal treffen.«
    Der Offizier wollte noch etwas sagen, ließ es aber bleiben. Es war untunlich und nutzlos. Er rief den Kellner und bestellte noch was zu trinken. Jetzt würde er so weitermachen, bis er ordentlich angesäuselt war, und dann den Tag mit irgendeiner Nutte beenden, in übermäßiger, lauter, abscheulicher Frivolität, die ihm den ganzen nächsten Tag auf dem Gedächtnis lasten und ihm Ekel bis zum Erbrechen bereiten, ihn wütend, gereizt, unerträglich, böse machen würde, aus reiner Selbstverachtung.

12
    Es war gegen siebzehn Uhr, als Rost das Kaffeehaus und den über seinem Glas brütenden Offizier verließ. Schön war es, ohne Eile durch die sonntäglichen, halb leeren, feuchten Straßen zu schlendern, die nach dem vergangenen Regen rochen. Die leuchtend grünen Baumwipfel an der Straße ließen vereinzelte, späte Tropfen auf seinen unbedeckten Blondschopf fallen, der nur so strotzte vor Freiheit und Selbstwertgefühl. Er spürte die Kraft, alles zu erobern, sich all seine Herzenswünsche zu erfüllen. Großzügig ließ er seinen Blick über vorüberfahrende Kutschen schweifen, über Automobile und Passanten. Gut, dass all das hier greifbar nahe war, greifbar für ihn, zu seinem Vergnügen und Wohlbefinden. Und es war gut, dass es geregnet und wieder aufgehört hatte und dass es jetzt Tag war, ein etwas elegischer Tag, weich, zögernd, scheu, und dass dann der Abend einziehen würde, vielleicht ein ruhiger und verhaltener Abend, und schließlich die Nacht, mit einem etwas anderen Duft als die übrigen, als die davor und danach, ihnen ähnlich und unähnlich zugleich, wie eine neue, unbekannte Frau. Jeder neue Tag erforderte einen neuen Menschen, sauber wie ein neugeborenes Kind, ohne die Last des Gestern.
    Rost verwendete einen kurzen, geringschätzigen Gedanken auf den hochgewachsenen Offizier, der offenbar auf einen bestimmten Tag oder eine bestimmte Sache fixiert war, ohne sich davon lösen zu können, völlig verloren für alle übrigen Tage und Dinge, dieser Offizier, der dort ein Glas nach dem anderen runterschüttete, um eine Barriere zu seiner Welt zu errichten. Von Brunnhof trank, weil er Angst hatte. Er, Rost, hatte keine Angst.
    Geistesabwesend blieb er vor einem Spielwarenladen stehen. Als er sich dabei ertappte, lächelte er und schlenderteweiter. Durch verschlungene Gedankengänge landete er bei Erna und fühlte sich schlagartig von einer Woge der Lust überspült. Er beschleunigte seine Schritte und bog in die Gasse, die

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