Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)
und ein einzelner Reiter, er selbst.
Marie Dean, die Mutter, wiederholte aus weiter Ferne wie ein Echo: »Ja, sie spielt schön.« Und nach und nach kehrte der regnerische Tag in das orientalische Zimmer zurück, und alles schrumpfte wieder, nahm seine normale, profane Form wieder an, wurde unwichtig.
Nur Marie Dean, sinnierte Felix von Brunnhof, nur sie allein verlor nichts von ihrem Glanz, selbst im grauen Licht des Alltags. Nur sie blieb immer die Gleiche, ob sie nun hier, neben dir, war oder nicht. Und er selbst, Felix von Brunnhof, würde die Uniform ablegen und auf Reisen gehen. Das hatte er beschlossen, fertig, aus. Aber was hatte er davon? Marie konnte er sich nicht aus dem Herzen reißen, dagegen war nichts zu machen. Und selbst wenn er nicht hier wäre, wenn er plötzlich verschwinden, plötzlich sterben würde, auch dann würde sich nichts ändern – das wusste er. Gegen all das gab es keinen Rat. Und ja, er musste zugeben, dass er liebenswert war, dieser Dean. Er selbst schätzte ihn über alle Maßen. Und trotzdem, wüsste er, dass seine Liquidierung etwas nützen würde, würde er vielleicht nicht vor der Tat zurückschrecken. Marie war ein Schicksalsschlag. Er würde verreisen, gewiss würde er das. Aber im Zugabteil würde er an sie denken, in fremden Städten über sie phantasieren, in ausländischen Hotelzimmern würde sie bei ihm sein. Und allerorten wäre er fähig, vor ihr niederzuknien und die Spitze ihres blauen Schuhs hier zu küssen. Bis er seinen Abschied erhielt, würde es noch eine Zeitlang dauern, doch er wollte auf der Stelle weg, in diesem Augenblick.
Er stand auf. Die Bleibenden saßen schon etwas gebeugt, und Felix von Brunnhof erfasste nur Wortfetzen, deren Bedeutung und Zusammenhang ihm verborgen blieben, fremde, abgerissene Wörter, etwas gedämpft, als kämen sie aus einem anderen Zimmer. Sonderbar klangen sie ihm, unverbunden und ohne Beziehung zu ihm, als entstammten sie einer Sprache, die er nicht verstand. Und nun wurde ihm mit einem Schlag auch das ganze Zimmer fremd, dieses orientalische Zimmer mit seinen Möbeln und Figuren und dem Buddha in der Ecke, das er so gut kannte, dass er eine genaue Skizze davon hätte anfertigen können, unter Angabe von Standort, Farbe und Form eines jeden Einrichtungsgegenstands,ohne sich je zu irren. Und auch diese Leute, die er in- und auswendig kannte, auch sie wurden ihm mit einem Schlag wildfremd, als gehörten sie einer anderen Welt an, und keine Brücke führte mehr von ihm zu ihnen hin. Felix von Brunnhof, der unbeugsame Offizier, dessen Untergebene vor seinem Blick erzitterten, der bei Übungen oder Appellen hoch zu Ross thronte wie ein junger griechischer Gott, eben dieser Felix von Brunnhof war in diesem Moment verzweifelt einsam, so einsam wie zur Todesstunde. Er stand an der Terrassentür, blickte, ohne etwas zu sehen, in die Regenschnüre, die nicht ihm gehörten, und in die graue Langeweile, die dieser Regen brachte und die ebenfalls nicht seine war. Nichts verband ihn mit all dem. Morgen beim Appell würde er hart mit seinen Untergebenen umspringen, wusste er jetzt schon, mit übertriebener, unnötiger, törichter Brutalität. Er würde diesen unschuldigen jungen Burschen aus Ober- und Niederösterreich strengste Strafen aufbrummen und sich deshalb selbst verachten, und doch würde er sein Temperament nicht zügeln können. Diese schlechte Eigenschaft passte gar nicht zu seinem Wesen. Er war nicht so schwach, dass er seine Schwäche mit Brutalität oder Tyrannei hätte tarnen müssen. Je stärker einer ist, desto größer ist sein Kummer. Die Trauer des Menschen misst sich an seiner Leidensfähigkeit.
Großgewachsen, aufrecht, die schneidige Uniform wie auf den gutaussehenden, männlichen Leib geschneidert, stand er nun doch etwas matt an der Terrassentür. Kein Mensch merkte es außer Marie Dean, die seine Gefühlslage in etwa erkannte. Sie empfand sogar etwas Mitleid mit diesem Mann, den sie in gewisser Hinsicht mochte. Ohne seine leidenschaftliche, wenn auch unausgesprochene Liebe hätte er sogar ein guter Freund werden können. Aber kann es denn echte Freundschaft zwischen den beiden Geschlechtern geben? Zwischen Mann und Frau ist die Freundschaftimmer nur von einer Art. Einfache, geistige, seelische Freundschaft ist hier nicht möglich. Das hat die Natur so eingerichtet.
Dank einer verborgenen Gedankenverbindung sann sie nun über Gisela nach und streichelte dabei geistesabwesend Waldis zotteligen Rücken. Dem
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