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Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)

Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)

Titel: Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Vogel
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Anschein nach war sie eine sehr schöne Frau, diese Gisela, und zudem von glühendem Temperament. Von der Seite, aus einem Augenwinkel, warf sie einen flüchtigen Blick auf Gisela, die gerade bei Herrn Stans stand und ihn mit einem Strom runder, glatter Worte, so hart wie Hülsenfrüchte, überhäufte, und dachte im Stillen: Sie bemüht sich vergebens. Nein, Felix würde ihr nicht ins Netz gehen. Und diese felsenfeste Gewissheit bereitete ihr einige Genugtuung, ohne dass sie sich dessen bewusst geworden wäre.
    Wie um einen Alptraum zu vertreiben, fuhr sich der Offizier mit der Hand über die harte, kantige Stirn, die Dynamik und Entschlossenheit ausstrahlte. Sein dunkelblondes Haar war akkurat gekämmt, mit einiger Sorgfalt quer über den Schädel gezogen, und der Seitenscheitel zur Rechten war gerade und grau. Er ließ seine Augen mit leichter Verwunderung auf Rost ruhen, als sähe er ihn jetzt zum ersten Mal. In diesem Moment hatte er etwas Starres, Schwerfälliges, Ungelenkes an sich, etwas ausgesprochen Unmilitärisches.
    Die Uniform wirkte auf einmal fehl am Platz. Dieses Empfinden überkam Rost unvermittelt, ausgelöst vielleicht durch die Äußerung des Offiziers, den Militärdienst quittieren zu wollen. So ein Militärmann glich doch einem Menschen, der an einem Körperteil gelähmt ist.
    Der Offizier erwiderte Rosts Blick mit seinen melancholischen Augen und setzte sich dann, wohl in einer Sinneswandlung, auf einen Stuhl, den er näher gerückt hatte. Offensichtlichwollte er ein Gespräch mit ihm anknüpfen, hielt sich aber noch zurück. Rost wandte ihm abwartend das Gesicht zu.
    »Sie sind ja noch jung, mein Herr, man kann sogar sagen, sehr jung, nicht wahr? Wahrlich an der Schwelle des Lebens. Ich möchte gern wissen, wie ein junger Mensch wie Sie sich sein Leben vorstellt. Und verzeihen Sie mir bitte, falls Sie das als aufdringliche Neugier betrachten, in Wahrheit ist es keine simple Neugier.« Der Offizier hatte plötzlich das Bedürfnis zu reden, über etwas anderes zu sprechen, scheinbar fern seiner Privatangelegenheit, die seine Seele zum Bersten erfüllte – gerade mit einem jungen Mann in Rosts Alter zu reden, vielleicht in dem unbestimmten Drang, eine Schuld gegenüber all seinen jungen Altersgenossen abzutragen, die ihm untergeben waren und die er – meist unnötig – hart und überstreng anfasste.
    »Ich muss gestehen, dass ich noch nicht darüber nachgedacht habe«, antwortete Rost ausweichend, »jedenfalls habe ich nicht vor, einen Plan zu schmieden. Alles hat seine Zeit …«
    Der Offizier rauchte eine Weile schweigend. »Jeder Mensch, dachte ich, sucht sich einen bestimmten Ort aus, eine kleine Insel. Setzt sich ein Ziel.«
    »Nicht alle.«
    Frau Gisela begann den Offizier wieder zu umkreisen wie ein Geier. Ein Anflug von Unwillen huschte über sein Gesicht.
    »Möchten Sie mit mir in ein Kaffeehaus gehen?«
    Der Regen sprühte jetzt staubfein, fast unsichtbar. Aus dem alten Garten wehte durch die halb offene Glastür der Geruch feuchten Grüns herein, das schon etwas Herbstliches an sich hatte. Rost witterte augenblicklich diesen Geruch, der ihn an den Pfarrgarten seiner Heimatstadt erinnerte, nahe dem Elternhaus. Es war ein ausgedehnter, waldartigerPark gewesen, umgeben von einem hohen, grüngestrichenen Eisenzaun, aus dem immer kurzes, tiefes, heiseres Bellen schallte, das sich mehr wie ein Husten anhörte, von einem verborgenen Hund, ein Bellen, das den Näherkommenden wie Steinschlag traf. Als Junge hatte er diesen Hund mehr als einmal übertölpeln wollen, hatte ein Stück Fleisch mit einer Stecknadel darin über den Zaun in den Garten geworfen oder ein mit Arsen gegen Mäuse vergiftetes, einfach weil dieses heisere Bellen die ruhige Straße ständig in unangenehme Aufregung versetzte und die schläfrigen, entspannten, sonnendurchglühten Sommertage beeinträchtigte, die in diese lange Straße einzogen. Aber vergebens! Diesem Hund passierte nie etwas. Sicher bellt er noch heute, dachte Rost und lächelte vor sich hin.
    In jener Straße am Ausgang der Stadt sah man häufig Bewohner der nahe gelegenen Ulanen-Kaserne, die fast immer nach fauligem Sauerkraut roch, Soldaten, die Arm in Arm mit einheimischen Dienstmädchen spazieren gingen oder einzeln das Bordell von Motke Kolik in der nächsten Straße ansteuerten. Die Jungs wussten, wo die Soldaten hinwollten. Manchmal folgten sie ihnen in einigem Abstand und stellten sich dann vor das dreistöckige Gebäude mit den vielen

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