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Eine zweite Chance

Eine zweite Chance

Titel: Eine zweite Chance Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Alvtegen
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einen Stuhl. Einen anderen als den, auf dem Jonas gesessen hatte.
    »Hast du davon gewusst, Susanna?«
    »Ja.«
    »Wie lange schon?«
    »Susanna war die Einzige, der ich es mal erzählt habe, damals in der Oberstufe im Gymnasium, als es am schlimmsten war. Sie war die Einzige, mit der ich reden konnte.« Niklas verstummte, den Blick nach innen gewandt. »Denk doch an alle Freundinnen, die ich hatte, damit niemand etwas ahnte. Die Armen, das kann nicht so lustig gewesen sein. Auch für sie nicht.«
    »Ich kann nur nicht verstehen, warum du dein Leben zerstören willst. Das wirst du nämlich mit einer so dämlichen Entscheidung tun.«
    Niklas’ Mund kräuselte sich zu einem freudlosen Lächeln. »Weißt du, Mama, ich habe dir eine Informationsbroschüre mitgebracht. Falls ich es diesmal schaffen würde, es dir zu sagen. Ich finde, du solltest sie lesen. Dann weißt du in Zukunft wenigstens, wovon du sprichst. Das ist keine Wahl, die man trifft, ich bin so geboren, und du müsstest besser wissen als ich, woher die Gene kommen. Aber natürlich, gerade die Schwulengene stammen vielleicht aus der Familie meines Vaters.«
    »Niemand von uns hat irgendwelche … Schwulen … in der Familie.«
    »Woher weißt du das?«
    Für eine lange Zeit wurde es still. Nur das Geräusch von Helgas Küchenuhr war zu hören. Ein Gefühlschaos kämpfte in ihrer Brust. Ihr Sohn behauptete, schwul zu sein und sie die ganzen Jahre lang im Unklaren gelassen zu haben. Die Familiengemeinschaft, die sie als selbstverständlich vorausgesetzt hatte, hatte nie existiert. Ihre zwei Kinder waren Fremde.
    Hätten sie doch nur schon etwas gesagt, als er noch ein Teenager war, dann hätte sie vielleicht etwas dagegen tun können. Dafür sorgen, dass er Hilfe bekam, ehe seine Neigung ganz und gar überhandgenommen hatte. Jetzt war sie die Mutter eines Schwulen, und statt für eine Schwiegertochter, die ihr Enkel hätte schenken können, hatte ihr Sohn sich für einen triebgesteuerten, unnatürlichen Lebensstil entschieden. Das Komische war nur, dass man es ihnen nicht anmerkte, weder Niklas noch Jonas. Sie hatte die Parade zum Christopher Street Day im Fernsehen gesehen, wie halbnackte Männer in Lederhosen, die hinten und vorne offen waren, auf der Ladefläche eines Lastwagens standen und sich lächerlich machten. Der Gedanke, ihr Sohn könnte einer von denen sein, verursachte ihr Übelkeit. Und was würden die Leute sagen, wenn es herauskäme? Sie konnte jetzt schon das Getratsche hören.
    Susanna ging in die Hocke, um die größten Tellerscherben einzusammeln. Eine nach der anderen verschwand im Müllbeutel.
    Niklas stand auf. »Ich und Jonas quartieren uns im Hotel ein, und dann fahren wir morgen früh.« Er wandte sich an Susanna. »Ist es für dich okay, am Sonntag den Zug nach Hause zu nehmen?«
    Susanna nickte.
    »Nein, ihr könnt doch hier über Nacht bleiben.« Um alles in der Welt durften sie nicht ins Hotel. Helena hatte es gehört und saß wohl schon da und lachte sich ins Fäustchen.
    Niklas ging zum Spülbecken und stellte sein Glas ab. Dann drehte er sich um und sah Anna-Karin mit einem Blick an, den sie sich wünschte, nie gesehen zu haben. »Ich glaube wirklich, weder ich noch Jonas haben Lust hierzubleiben. Wir schlafen im Hotel. Ich lege die Infobroschüre ins Wohnzimmer.«

Kapitel 22
    »Wo ist Anders?«
    »Ich weiß nicht. In seinem Zimmer, nehme ich an.«
    »Will er heute nicht beim Kochen helfen?«
    »Offenbar nicht.«
    Emelie drehte sich um und ging.
    Helena hackte weiter. Gelbe Zwiebeln, die ihre Augen mit Tränen füllten. Sie standen in keinem Zusammenhang mit dem Druck auf ihrer Brust, dem Kribbeln im Körper, damit, dass aus der Küche plötzlich die Luft verschwunden war.
    Es waren die Zwiebeln, nichts anderes. Kein einziges Mal hatte sie geweint, seit Martin sie verlassen hatte. Schwäche zeigten die anderen, sie war eine, die stark blieb. So hatte sie schon immer ihr Überleben gesichert. Wenn sie nachgab, wüsste sie nicht, wo sie landen würde. Sie hatte Angst, so tief zu fallen, dass sie sich nicht mehr hochrappeln könnte. Aber etwas in ihr hatte bereits nachgegeben. Ihre ganze Kraft war verbraucht, es gab nichts mehr, was sich dagegen stemmte. Gedanken, die sie bisher hatte zügeln können, jagten ungehindert herum. Sie hatten ein Gemurmel von Stimmen geweckt.
    Helena schloss die Augen und drückte eine geballte Hand an die Brust. War das wirklich sie, die vollständig die Kontrolle verloren hatte? Erst über ihr

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