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Eine zweite Chance

Eine zweite Chance

Titel: Eine zweite Chance Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Alvtegen
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Leben, schließlich über sich selbst.
    Sie war ein armseliger Mensch. Untauglich, nicht nur ihrer eigenen Verachtung wert, sondern auch der aller anderen.
    Jetzt war sie also entblößt.
    Die Fingerknöchel am Messergriff waren weiß. Ein Griff, um sich daran festzuhalten. Alles andere entglitt ihr. Alles, was sie anfasste, wurde zerstört. Die Schreckensvision, die sie immer in sich getragen hatte, war Wirklichkeit geworden.
    Jetzt war sie allein, tatsächlich allein.
    Als Anders ihr auf dem Hof den Rücken zugekehrt hatte, hatte die Angst sie mit einem Mal überwältigt. Sie hatte ihm offenbar Schwierigkeiten bereitet – jetzt wollte er sie nicht mehr um sich haben. Sie verstand nur nicht, was sie falsch gemacht hatte. Es war ja Anders, der ihr den Mut gegeben hatte, wütend auf Verner zu werden. Ausnahmsweise hatte sie es gewagt zu zeigen, was sie wirklich fühlte. Anders war da und beschützte sie, verteidigte sie. Sie hatte eine starke Zusammengehörigkeit empfunden, seine Blicke waren voll von Zustimmung, ein Wir-Gefühl, sein Arm hatte sich um ihren Rücken gelegt, als wäre dieser Platz selbstverständlich. Aber hinterher auf dem Hof wurde er plötzlich zu einem Fremden. Als hätte sein Arm nie dort gelegen und ihr Gefühl der Zusammengehörigkeit hätte es nie gegeben. Seitdem hatte er sich zurückgezogen. Und es war die Angst, die sie zu Anna-Karin getrieben hatte, die verlangte, sie solle sich vergewissern, dass es noch einen einzigen Menschen in ihrem Leben gab. Aber das tat es nicht. Die Absage stand Anna-Karin in Großbuchstaben ins Gesicht geschrieben. Als Jonas sich dann offensichtlich versprochen hatte und es klar war, dass Anna-Karin nichts wusste, hatte Helena begriffen, dass sie in Zukunft immer mit diesem Augenblick verknüpft sein würde. Sie war diejenige, die gestört und das Böse hervorgelockt hatte. So waren die Regeln in Anna-Karins Welt. Und kurz darauf waren Niklas und Jonas bei ihr erschienen und hatten ein Zimmer im Hotel genommen. Sie hatten nicht viel gesagt, nur, dass sie frühmorgens abreisen würden und kein Frühstück wollten.
    Jemand kam die Treppe hinunter, und sie wischte sich rasch über die Augen. Niemand sollte glauben, sie stünde da und weinte. Sie tat einen unregelmäßigen Atemzug und versuchte, sich zusammenzunehmen.
    »Anders kommt gleich herunter.« Emelie war wieder da und ging zum Schrank, um Teller zu holen. »Ich decke den Tisch.«
    »Wir essen heute in der Küche.«
    »Warum denn?«
    »Draußen ist alles für den Beerdigungskaffee vorbereitet.«
    »Aber einen Tisch können wir doch trotzdem decken? Es ist viel gemütlicher, in der Glasveranda zu essen.«
    Helena hatte nicht die Kraft, Widerstand zu leisten, und Emelie fasste das als Zustimmung auf.
    Eine halbe Stunde später saßen sie im Kerzenschein da. Emelie hatte jeden Docht angezündet, der in Sichtweite war, und sogar die antike Petroleumlampe zum Leuchten gebracht. Ihr schön gedeckter Tisch harmonierte nicht mit Helenas gewöhnlichen Spaghetti mit Hackfleischsoße, aus der Bratpfanne und dem Topf serviert. Zusammen mit der Ketchupflasche passten sie nicht in das Bild. Aber Anders behauptete, es schmecke gut. Sie redeten nicht viel, nur höflich und ausweichende Allgemeinheiten, die kleine Bögen um das machten, was ungesagt blieb.
    Helena stocherte in ihrem Essen herum. Es fiel ihr schwer, Luft zu holen und die Bissen herunterzukriegen, wo sie hinsollten, das Unbehagen verursachte ihr Übelkeit. Ihr Körper fühlte sich rastlos. Als sie merkte, dass ihre Hände zitterten, versteckte sie sie im Schoß. Eine Fremde, dachte sie. Es war nichts von ihrer ursprünglichen Persönlichkeit geblieben, sie klammerte sich an etwas fest, was eigentlich nicht sie war. Der Körper wirkte mit der Umgebung zusammen, aber innerlich war sie nur eine Reaktion auf das, was andere Menschen taten. Sie hatte keinen Kern. Sie hatte keinen Boden mehr unter den Füßen, und jetzt war sie dabei unterzugehen.
    Emelie seufzte und legte das Besteck weg. »Was ist denn mit euch los?« Helenas und Anders’ Blicke stießen kurz über dem Tisch zusammen. »Ist etwas passiert?«
    Helena konnte nicht antworten. Bitte, hilf mir, Anders, sag etwas! Ich verstehe selbst nicht, was geschieht . Aber Anders schwieg. Für sie war es eine lautstarke Bestätigung.
    Helena gelang es, sich zu überwinden, und rang sich ein Lächeln ab. »Nein, wieso, was meinst du?«
    »Ihr wirkt so sauer.«
    »Tun wir das?«
    »Ja.«
    Das kleine Wort war voller

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