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Eine zweite Chance

Eine zweite Chance

Titel: Eine zweite Chance Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Alvtegen
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Merkwürdigeres als das. Er war ein Mensch unter vielen anderen, mit dem kleinen Unterschied, dass sie an ihn ihr Leben gehängt hatte.
    Ihr Nicht-Leben.
    »Emelie begleitet mich über das Wochenende nach Stockholm.«
    Sie zuckte die Achseln. »Wenn sie das will, klar.«
    »Ich habe in ihrer Schule angerufen, damit sie für morgen frei bekommt.«
    Anders räusperte sich. »Ich werde euch allein lassen. Ich gehe hinauf ins Zimmer.«
    Helena nickte, und Anders ging. Martins Blick folgte ihm, kritisch musternd. Es wurde still, und die Glasveranda war im Kerzenlicht trügerisch schön.
    »Hast du meine letzten Mails überhaupt gelesen?«
    War ihr anzumerken, wie sie sich fühlte? Jeder Herzschlag schmerzte, als wäre etwas entzweigegangen. Sah man ihr Zittern, den Krampf in den Beinen, das Harte, das sich um ihren Brustkorb spannte und ihr Atemnot bereitete?
    »Ich kann einfach nicht fassen, wie du dich so benehmen kannst. Ein halbes Jahr lang hast du versucht, mich totzuschweigen, hast dich geweigert, mit mir zu reden, wenn ich angerufen habe, und meine Mails einfach ignoriert. Auf welche Weise meinst du, hilft das Emelie? Soll sie auch keinen Vater haben, weil du selbst keinen hattest, ist das deine Überlegung?«
    »Nein.«
    »Was stellst du dir dann vor?«
    Was stellte sie sich vor? Sie konnte ihre Gedanken nicht in den Griff bekommen. Sie waren in einen Brei hineingesickert und hingen nicht mehr zusammen, sie hatte in ihrem eigenen Körper keinen Platz mehr. Fühlte es sich so an, wenn jemand den Verstand verlor und dem Wahnsinn verfiel?
    »Wenn es deine eigene Kindheit ist, die du wiederbeleben willst, dann ist dir das wirklich gelungen. Emelie will zu mir nach Stockholm ziehen. Sie bleibt nur aus einem einzigen Grund hier, und zwar aus Sorge um dich. Das sollte dir eigentlich bekannt vorkommen, wenn man sich immer um seine Mutter sorgen muss.«
    Einen einzigen unerträglichen Gedanken musste sie einfangen, an dem sie sich festhalten konnte. Einen einzigen Gedanken, bis Martin verschwunden war. Stürzte sie, wartete nichts als Untergang.
    Dann stand Emelie plötzlich in der Tür zum Speisesaal. Ihr brauner Lederbeutel war gepackt, und sie schien aufbrechen zu wollen. »Wollen wir dann fahren, oder nicht?«
    »Ich komme.«
    Sie warf Helena einen flüchtigen Blick zu. »Tschüss dann.«
    »Warte einen Moment, Emelie.«
    Es war Martin, der sie stoppte, und Emelie seufzte ungeduldig.
    »Papa, wir fahren jetzt.«
    »Nein. Wir können das ebenso gut jetzt ein für alle Mal regeln. Jetzt, da wir alle drei zusammen sind.«
    Emelies Augen wurden schmal. »Hör auf, du hast es versprochen.«
    »Aber Liebes, es ist doch dir zuliebe, du sollst nicht so leben müssen. Jetzt hast du die Chance, genau das zu sagen, was du fühlst. Niemand wird böse werden. Wir wollen ja alle nur, dass es dir wieder gut geht. Sag jetzt ehrlich, willst du hier oben bleiben, oder willst du zu mir nach Stockholm ziehen? Du hast die Wahl, du bestimmst selbst.«
    In Emelies Blick tauchte etwas Dunkles auf. Er sprang wütend zwischen den beiden hin und her, den beiden Bettlern, die ihre Eltern darstellen sollten. Helena sah hinunter auf ihren Schoß. Wie war es möglich, dass sie ein Teil von alldem geworden war, dass alles so falsch hatte werden können?
    »Hör jetzt auf, Martin.«
    »Nein. Es ist Zeit für dich, die Wahrheit zu erfahren. Sag jetzt, Emelie, wo willst du wohnen?«
    Als Mutter würde sie die Chance bekommen, alles gutzumachen. Sie würde die Mutter sein, die ihre eigene nie gewesen war. Sie würde bereit sein, alles zu tun, auf alles zu verzichten.
    Helena verbarg das Gesicht in der Hand, aus Scham über das, was geschah. Darüber, dass sie dasaß und es geschehen ließ.
    »Ich will hier bei Mama bleiben.«
    Ohne ihr auch nur einen Blick zu schenken, drehte sich Emelie um und ging.
    Helena schloss die Augen. Martin war besiegt, aber sie empfand keinen Triumph. Nur eine gnadenlose Trauer. Für eine kleine Weile musste sie sich noch zusammennehmen.
    Draußen in der Diele schlug die Tür mit einem Knall zu.
    »Siehst du nicht, was du da tust?« Martin stieß einen tiefen Seufzer aus.
    Nur atmen, nur noch eine kleine Weile atmen.
    »Okay, dann müssen wir es stattdessen so machen. Ich verkaufe meinen Anteil am Hotel. Da du dich geweigert hast, die Ausgleichsformulare zu unterschreiben, besitze ich immer noch die Hälfte. Es geht nicht um dich, sondern um Emelie. Ich werde einen Gutachter einschalten. Wenn er anruft, wäre es gut, wenn du

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