Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine zweite Chance

Eine zweite Chance

Titel: Eine zweite Chance Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Alvtegen
Vom Netzwerk:
Treppenhauses herumgeschlichen waren. Das, was wahr war und schlimm genug für die beiden Kinder, die auch dort wohnten, ohne dass jemand es schaffte, etwas dagegen zu unternehmen.
    Sie machte kehrt, um nach Hause zu gehen, aber als ihr Blick über den Friedhof schweifte, entdeckte sie Verner. Er stand ein Stück weiter weg, in ihre Richtung gewandt, und ihr kam der Gedanke, dass er vielleicht nachsehen wollte, ob jemand kam und seine Mitteilung las. Ein schwaches Unbehagen beschlich sie, dieses Gefühl, heimlich beobachtet zu werden. Eine Weile stand sie ratlos da. Dann hob sie langsam den Arm und winkte, unsicher, als hätten die Muskeln vergessen, wie man das machte. Er winkte sofort zurück, eifrig, als hätte ihr Gruß ihm die Erlaubnis dazu gegeben.
    Sekunden vergingen, und der Entschluss, von dem sie gehofft hatte, ihn vor sich herschieben zu können, musste plötzlich eilig gefasst werden. Sie konnte sich dafür entscheiden, Anna-Karin zu trotzen und sich ihm vorzustellen, wie sie es bei den anderen im Ort getan hatte. Der Einsicht des Nachmittags Bedeutung verleihen und sich so verhalten, als hätte sich etwas geändert.
    Oder sich abwenden und alles so lassen wie zuvor.
    Die Wahl stellte sich ihr nicht. Er war in ihre Richtung unterwegs, und unbewusst schweifte ihr Blick über den Friedhof, um sich zu vergewissern, dass niemand sie sah. Plötzlich schämte sie sich, die Tochter der Schnapsdrossel, mit der niemand etwas zu tun haben wollte. Konnte es sein, dass bei jemandem, dessen einziges Ziel es gewesen war, selbst akzeptiert zu werden, der Instinkt, diesen Platz wieder zu verlieren, bei der geringsten Gefahr die Oberhand gewann?
    Verner war fast angekommen, als sie einen Schritt nach vorne tat und ihre Hand ausstreckte.
    »Ich glaube, wir haben uns bisher noch nicht einander vorgestellt, Helena heiße ich, ich betreibe das Hotel auf dem Lindgrenhof.«
    »Ach, das sind Sie. Helena, sieh mal an. Verner heiße ich.«
    Ihre Hand verschwand in seiner großen Faust, und sie fand, dass er sie ein bisschen zu lange festhielt. Sie überwand den Impuls, sie zurückzuziehen.
    »Ja, wie gesagt, wir haben uns wohl noch nicht so richtig bekannt gemacht.«
    »Ne, das haben wir wohl nicht.«
    Haare war das Wort, das ihr in den Sinn kam. Die gab es bei ihm in einer wildwüchsigen Menge, und auch wenn der Kopf von einer verblichenen Kappe von Lantmännen bedeckt war, wurde der Rest von silbergrauen Haaren umschlossen, die ohne deutliche Grenzen in Bart und Schnäuzer übergingen. Die Augenbrauen waren buschig, und ein paar Strähnen hingen über den Augen, die fest in die ihren blickten. Von der Scheu, die sie erwartet hatte, gab es keine Spur. Sie war diejenige, die zuerst den Blick abwenden musste.
    Endlich ließ er ihre Hand los, und sie überlegte, was sie nun sagen könnte. Verner schwieg und schaute jetzt auf etwas direkt über ihrem Kopf. Sie strich sich über die Haare, um das zu richten, was seine Aufmerksamkeit erregt hatte.
    »Ich habe gelesen, was Sie an die Anschlagtafel gehängt haben. Denn das sind doch Sie, der das gemacht hat?«
    Er nickte. Es wirkte fast widerwillig, als er ihren Kopf mit dem Blick losließ. Wieder fuhr ihre Hand hinauf zu den Haaren.
    »Ja, das habe ich aufgehängt. Man kann doch eine solche Information nicht für sich behalten, wenn man einmal darauf gestoßen ist?«
    »Nein, wirklich nicht. Woher haben Sie sie?«
    »Ein alter Freund aus den USA hat sie mir gemailt. Er ist Professor und schickt mir öfter ein paar Dinge, die er interessant findet.«
    Wie die selbstverständlichste Sache der Welt.
    Helena geriet völlig aus dem Konzept.
    »Er sagt, die Vorurteile gegenüber dem Mysterium seien jene, die am schwersten zu überwinden sind. Es gibt so viele, die schon meinen, ausgelernt zu haben, aber die Geschichte hat bewiesen, dass man sich dann eine zu große Bedeutung beimisst. Ich selbst habe mich nur gefreut, daran erinnert zu werden, dass es noch so vieles gibt, was man verstehen lernen muss.« Das Einzige, woran Helena denken konnte, war der Anblick von Verner vor einem Computer. Das Bild war genauso unwahrscheinlich wie Erdbeeren an einer Eiche. »Ich habe den Text auf Englisch bekommen, also habe ich ihn natürlich übersetzt. Nicht alle können ja Englisch, habe ich gedacht.«
    Das, was sie immer über Verner gedacht hatte, stimmte schlecht mit dem überein, was sie hörte. Der unangepasste Einzelgänger benahm sich nicht wie erwartet. Er sollte nicht mit Professoren in den USA

Weitere Kostenlose Bücher