Eine zweite Chance
bei mir im Hotel einen Computer, den Sie benutzen können, wenn Sie Ihre Mails abrufen wollen.« Der Blick, den er ihr zuwarf, war schwer zu deuten. »Oder wenn Sie einfach vorbeikommen und schauen wollen, wie es bei uns aussieht, sind Sie herzlich zu einem Kaffee eingeladen. Ich bin gewöhnlich ab sieben Uhr auf.«
In diesem Moment klingelte ihr Handy. Sie kramte in der Tasche und las Emelies Namen auf dem Display. Eine andere Art des schlechten Gewissens überfiel sie, es war bestimmt höchste Zeit für das Abendessen.
»Entschuldigen Sie, Verner, es ist meine Tochter, die anruft. Hallo, Emelie, warte eine Sekunde.« Sie streckte ihre Hand aus, die wieder in seiner schwieligen Faust verschwand.
»Es war nett, dass wir uns endlich einmal kennengelernt haben. Und Sie sind bei uns herzlich willkommen, wenn Sie Zeit haben.«
»Zeit habe ich schon, aber ich bin es nicht gewohnt, unter einer Menge Menschen zu sein.«
»Diese Gefahr besteht zu dieser Jahreszeit nicht, leider, muss ich wohl sagen, ich bin es also auch nicht so gewohnt.«
»Dann machen wir es nach und nach, damit es nicht zu schockierend ist.«
Mit aufgekratzter Neugier lächelten sie einander zu. Da war ein gemeinsames Gefühl, dass etwas Besonderes geschehen war.
Sie ließ seine Hand los und beeilte sich, nach Hause zu kommen. »Hallo, Emelie.«
»Wo bist du?«
»Ich habe nur einen Spaziergang gemacht, ich bin drüben bei der Kirche, aber ich komme gleich. Bist du hungrig?«
»Dieser Typ, der im Auto geschlafen hat, fragt, ob er was zu essen bestellen kann.«
Zu ihrer Überraschung wurde Helena bewusst, dass sie ihren wortkargen Gast ganz vergessen hatte. »Ich bin in zehn Minuten da.«
Sie warf einen Blick über die Schulter. Verner stand immer noch da. Als sie sich umdrehte, hob er den Arm hoch über den Kopf und winkte. Die Hand zum Gruß erhoben, lief sie zur Straße hin, besser gelaunt als seit langem. Sie eilte die Straße entlang, die zu ihrem Haus führte, ob sie von Anna-Karins Fenster aus gesehen werden konnte, kümmerte sie nun nicht mehr.
Von dieser Begegnung beeindruckt, erkannte sie, dass sie einen willkommenen Wegweiser an die Hand bekommen hatte.
Es war, also ob sie endlich einen Anstoß für eine Veränderung bekommen hatte und nun wusste, welche Richtung sie einschlagen musste.
Kapitel 12
Es war Nacht, und in Zimmer Nummer zwei von Lindgrens Hotel & Pension vertrieb sich Anders die Zeit damit, vom Aussterben bedrohte Pflanzenarten auswendig zu lernen. Die Broschüre hatte er in einer Informationsmappe gefunden, die auf dem Sekretär des Zimmers lag. Vor dem Fenster befand sich außerdem noch ein kleiner Tisch mit zwei antiken Sesseln. Mittlerweile kannte er sich in Möbelstilen aus und stellte fest, dass sie aus der Zeit des Rokoko stammten. Er lag in einem englischen Eisenbett mit hohen Kopf- und Fußenden, jede Ecke war von einem verzierten Messingknopf gekrönt. Die Enden selbst erinnerten an ein Gitter.
Er hob den Blick zur Decke. Von einem Punkt an der Decke direkt über seinem Kopf hing ein Betthimmel bis zur Wand hin. Dort war er mit verschnörkelten Gusseisenbeschlägen befestigt, bevor der Stoff weiter zum Boden hinabfiel. In der Mitte des Zimmers prangte ein Kristalllüster. Das unterste Prisma, das gewöhnlich rund war, fehlte. Er erinnerte sich plötzlich an einen Geschäftsbekannten, der von der Gewohnheit erzählt hatte, diese aus Hotelzimmern zu stehlen. Die Sammlung war mit der Zeit groß geworden, und Anders fragte sich jetzt, ob der Sammlertick für die Mittelprismen weiter verbreitet war.
Den standardisierten Luxus war er mittlerweile überdrüssig geworden und zog kleine persönliche Hotels vor. Daher vermutete er, man könnte das Zimmer als gemütlich bezeichnen. Trotzdem hatte er das Gefühl, die tiefroten Wände würden ihn böswillig in den Wahnsinn treiben wollen, ehe die Sonne aufging.
Er hatte den ganzen Nachmittag verschlafen. Eine Schlaftablette hatte er noch genommen, aber nun war der Vorrat erschöpft. Da er ursprünglich den Plan gehabt hatte, nur eine Nacht fort zu sein, hatte er nur die dafür nötige Ration eingepackt. Damit war er nun seiner Schlaflosigkeit ausgeliefert. In seiner Wohnung war sie schon qualvoll genug, aber nichts im Vergleich damit, sie in einem Hotelzimmer ertragen zu müssen. Nach all seinen Reisen hatte er eine extreme Abneigung gegenüber Hotelzimmern entwickelt. Es gab keinen Ort, den er als isolierter empfand, unabhängig davon, wie viele goldplattierte Sterne
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