Eine zweite Chance
sich auch auf den einladenden Schildern zur Straße hin befanden. Die Luftzufuhr vom Rest der Welt wurde abgeschnitten, sobald man eine Hotelzimmertür schloss.
Direkt am nächsten Morgen wollte er nach Hause zurückkehren. Was auch immer das Wort Zuhause eigentlich bedeutete. Er würde zu der Adresse fahren, wo der größte Teil seiner Habseligkeiten aufbewahrt wurde, aber wenn der Begriff Zuhause etwas weiter gefasst werden sollte, gab es keinen Ort, an den er zurückkehren konnte.
Während des Nachmittags hatte er seinen Selbstbetrug durchschaut. Die scheinbar wichtige Reise nach Norrland. Sie hatte eigentlich nichts mit Lucy zu tun gehabt, das Verlangen nach ihr war erloschen, sobald er Verners Häuschen verlassen hatte. Das wahre Motiv war vielmehr gewesen, sich einen Aufschub zu verschaffen. Morgen blieb nur die Fahrt zurück in das Vakuum, vor dem er geflohen war.
Geschützte Arten, die in dieser Provinz vorkommen. Weichkraut. Korallenwurzel. Glanzkraut.
Er schloss die Augen und wiederholte die Namen, aber als er zum vierten Mal das Glanzkraut vergaß, schlug er die Decke zurück und zog sich an. Er musste für eine Weile das Zimmer verlassen, wenn auch nur, um die Treppe hinunterzugehen. Die Jeans drängten sich mit seinen Halbschuhen auf dem Heizkörper, und als er sie holen ging, nahm er den Geruch der Lasagne wahr, die er gegessen hatte. Der Teller stand noch da. Es war nicht leicht gewesen, sie zu bestellen. Wieder und wieder hatte er versucht, die Rezeption anzurufen, bis er merkte, dass das Telefon defekt war. Schließlich hatte er die Tochter der Hotelbesitzerin gefunden, und fünfundvierzig Minuten später war die Frau, die ihn empfangen hatte, mit einem Tablett und einem Schraubenzieher aufgetaucht. Während er angefangen hatte zu essen, hatte sie eine Dose von der Wand abgeschraubt und erklärt, sie wolle nur eine Sache kontrollieren, bevor sie einen Telefontechniker anrief. Nicht ohne Bewunderung hatte er ihr Tun beobachtet, und als sie kurz darauf das Zimmer verließ, war das Telefon repariert.
Die Hose war an den Beinen unten, wo sie getrocknet war, steif, seine Halbschuhe hatten weiße Ränder vom Salz. Um den Lasagnegeruch aus dem Zimmer zu bekommen, nahm er die Reste des Abendessens mit. Der Zimmerschlüssel war an einem geschnitzten Holzklumpen befestigt, der so sperrig war, dass er nicht in die Hosentasche passte. Den Schlüssel in die Tasche gesteckt und das Holzstück am Bein baumelnd, öffnete er die Tür und trat in den verlassenen Korridor hinaus. Es gab nur noch zwei weitere Türen, von denen eine mit PRIVAT beschriftet war. Viele Stunden waren vergangen, seit er jemanden im Haus gehört hatte. Er blieb stehen und warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Es war Viertel nach eins. Die teuerste Armbanduhr, die je auf einer Auktion verkauft worden war. Einst von Albert Einstein getragen. Das Genie, das die Quantenphysik missbilligte und sich geweigert hatte zu glauben, dass das Universum sich unvorhersehbar verhielt und unmöglich vorherzubestimmen war. Ein Name, das Datum 16. Februar 1931 und LOS ANGELES waren auf der Rückseite eingraviert. Zeit und Ort, an dem er die Uhr geschenkt bekommen hatte. Siebenundsiebzig Jahre später hatte Anders bei einer Auktion in New York 4 309 000 Kronen dafür bezahlt. Immer wenn er auf die Uhr sah, schickte er einen Gedanken zu seinem Vater.
Er ging zur Treppe und weiter hinunter. Das Holz der Treppenstufen knarrte, und das Geräusch, das bei Tag unbedeutend erscheinen konnte, klang in der Nacht wie Lärm. Vorsichtig tastete er sich Schritt für Schritt vor, und als er endlich unten war, stellte er den Teller auf einem Seitentisch ab. Das Hotel war für die Nacht verdunkelt. Das einzige Licht kam von den Lampen, die noch an den Fenstern brannten. Er befand sich im Entree, und weiter hinten rechts war die Rezeption. Links führte die korridorartige Eingangshalle in einen Raum, in dem die Wände mit Bücherregalen verdeckt waren. Er ging darauf zu, blieb dann aber stehen, um die Naturfotografien, die an den Wänden hingen, zu betrachten. Gerade als er angefangen hatte, die Präsentation des Fotografen zu lesen, hörte er Schritte im Obergeschoss und gleich darauf denselben Lärm auf der Treppe, den er gerade selbst verursacht hatte. Zuerst kamen ein Paar Pantoffeln aus Schaffell zum Vorschein, danach Beine in Flanell. Die Frau, die er am Tag zuvor kennengelernt hatte, jetzt in einem cremefarbenen Morgenmantel. Sie blieb stehen, als sie ihn erblickte,
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