Eine zweite Chance
als hätte der Anblick sie erschreckt, aber gleich darauf glätteten sich ihre Züge.
»Ach, Sie sind das.« Sie setzte ihren Weg fort. »Brauchen Sie etwas?«
»Nein, überhaupt nicht. Ich wollte Sie nicht wecken.«
»Das haben Sie auch nicht getan. Es war meine Tochter, die irgendwas hier unten gehört hat.«
Er wendete sich wieder den Fotografien zu, unvorbereitet auf ein Gespräch. »Ich habe nur Schwierigkeiten zu schlafen.«
»Möchten Sie etwas? Whisky, warme Milch, ein Glas Wein?«
»Nein danke, ich brauche nichts.«
Sie tat den letzten Schritt die Treppe hinunter. »Sind die nicht schön? Ein Fotograf hier aus dem Ort hat sie gemacht. Ich finde es wichtig, die Kunst aus der Umgebung hier an den Hotelwänden zu zeigen. Es gibt viele Talente hier draußen, und nur selten wird eines von ihnen entdeckt.«
Er nickte und ging weiter zum nächsten Bild, eine Nahaufnahme von einem Spinnennetz, das von Wassertropfen schimmerte. Er ahnte ihre Nähe hinter seinem Rücken und sah ein, dass er irgendetwas sagen sollte. »Dann sind Sie also Frau Lindgren? Die Hotelbesitzerin persönlich?«
»Lindgren heiße ich nicht, aber ich bin die Besitzerin des Hotels. Es ist nach den Leuten benannt, denen früher der Hof gehörte, bevor ein Hotel daraus wurde. Ich habe hier meine Sommerferien verbracht, als ich klein war, und damals war es der Großbauernhof der Gegend.«
Er ging weiter in das Zimmer mit den Bücherregalen hinein. Sie folgte ihm und knipste eine Bodenlampe an. Er konnte sich nicht entscheiden, ob er ihre Gegenwart schätzte oder ob er wollte, dass sie wieder verschwand. Ihr Auftauchen kam überraschend. In der letzten Zeit hatte er es sich abgewöhnt, in Gesellschaft zu sein, seine sozialen Kompetenzen schienen verkümmert. Er fühlte sich unwohl, wenn er Konversation betreiben sollte. Dabei hatte er sich früher ständig unter die Menschen gemischt und hätte auf jeder beliebigen Bagatelle ein Gespräch aufbauen können. Doch jetzt ertappte er sich plötzlich dabei, die Worte so sorgfältig zu wählen, dass nichts mehr natürlich klang. Immer wenn er etwas sagte, beobachtete er sich selbst, als stünde er neben sich und hörte zu. Analysierte, bewertete und verurteilte. Verdrehte die Augen und schüttelte verächtlich den Kopf, wenn er etwas herausgebracht hatte, was eigentlich gleichgültig war. Der richtige Anders Strandberg konnte es um so vieles besser.
Die Frage war nur, wo der geblieben war.
Sie nahm eine Streichholzschachtel von einem Tisch und begann, die Kerzen anzuzünden. »Sie müssen meine etwas informelle Kleidung entschuldigen. Normalerweise arbeite ich nicht im Pyjama.«
»Das brauchen Sie wirklich nicht, ich wollte hier nur eine Weile sitzen und dann hinaufgehen und wieder versuchen einzuschlafen.«
»So habe ich das gar nicht gemeint, nur, dass ich mich gewöhnlich anziehe, bevor ich zu unseren Gästen hinuntergehe.«
Sie machte weiter ihre Runde von einem Teelicht zum nächsten, und er ging zum Bücherregal und las die Titel. Vereinzelte Schriftstellernamen sagten ihm etwas, aber die meisten waren ihm unbekannt. Beim Geräusch von Papier, das zerrissen wurde, drehte er sich um, jetzt saß sie vor dem Kamin und machte Feuer.
»Im Ernst, das müssen Sie nicht.«
»In der Präsentation steht, dass man in diesem Hotel vor einem offenen Kamin sitzen kann, und wenn wir auf etwas achten, dann darauf, unsere Versprechen zu halten.«
Sie schenkte ihm ein flüchtiges Lächeln, und er dachte, dass er ihr helfen sollte. Es wäre einfacher, etwas zu tun zu haben, als nur ratlos dazustehen.
»Lassen Sie mich das machen.«
»Das ist nicht nötig, dieses Holz ist so trocken, dass es sich fast von selbst anzündet.«
»Ich habe nicht an Ihrer Fähigkeit gezweifelt. Nachdem ich gesehen habe, wie Sie das Telefon repariert haben, traue ich Ihnen fast alles zu. Ich dachte nur, ich könnte mich vielleicht nützlich machen.«
Als sie nicht antwortete, ließ er sich in den Sessel sinken, der am nächsten stand. Ein grüner Samtsessel, bei dem der Stoff der Armlehnen bereits abgewetzt war. Er sah ihr zu, wie sie die Streichhölzer anzündete und das Zeitungspapier hinter dem Holz aufflammte.
»Das mit dem Telefon war allerdings nur Glück. Es ist schon länger her, da stand ich daneben und habe heimlich zugesehen, wie es repariert wurde. Kann man sich den einen oder anderen Reparateur sparen, tut man das gern, wenn man ein Hotel dieser Größenordnung besitzt.« Sie stand auf und suchte das Zimmer
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