Eine zweite Chance
selbst die Schale gesehen, die ich zu Weihnachten geschenkt bekommen habe, du weißt, diese schiefe, hellblaue, die ich für die Igel benutze. Jetzt glaubt sie anscheinend, dass sie eine Art Künstlerin ist, die dieses Zeug verkaufen kann, das sie macht.«
Anna-Karin betrat die Küche, stand aber in einem Winkel, von dem aus die Rezeption nicht zu sehen war. Helena schnappte sich die Tasse, die sie für Verner hingestellt hatte, goss rasch Kaffee und Milch hinein und kam so Anna-Karins Gang durch die Küche zuvor. In der Hoffnung, sie mit zum Tisch zu locken, setzte sie sich und legte ein Zuckerstück in die Tasse.
Innerlich verfluchte sie ihre Feigheit. Wozu diese sie brachte. Sie befand sich in ihrem eigenen Haus und hatte das Recht zu tun, was sie wollte. Trotzdem fürchtete sie sich vor Anna-Karins Reaktion, als wäre sie ein ungezogenes Kind, das bald ertappt werden würde.
»Wir fahren heute in die Stadt und treffen den Bestattungsunternehmer und einen Anwalt. Aber eins sage ich dir, die Kastanie gehört mir, und wenn sie eine Töpferwerkstatt bauen wollen, müssen sie das in ihrem Teil des Stalls tun. Irgendwelche Keramikkunden sind nicht willkommen, über mein Grundstück zu fahren, das ist ein für alle Mal sicher.« Anna-Karin ging zum Tisch, aber statt sich zu setzen, öffnete sie das Fenster. Mit geübten Bewegungen steckte sie eine Zigarette an und blies den Rauch durch den Fensterspalt hinaus. Sie wollte gerade etwas sagen, als sie zufällig einen Blick auf Helena warf. »Nanu! Hast du dich geschminkt?«
Helena, die ihr ungewöhnliches Unterfangen schon bereute, machte eine vage Geste. »Nur ein bisschen Mascara. Ich habe heute Nacht schlecht geschlafen und fand, das sei nötig.«
Anna-Karin tat einen Lungenzug. »Wenn es Probleme gibt, muss ich mir wohl einen eigenen Anwalt nehmen. Lasse meint, einer würde reichen, weil das billiger wird. Übrigens, ist er schon aufgewacht, der Anwalt, der gestern kam?«
»Nein, und außerdem ist er kein Anwalt.«
»Was ist er dann?«
»Zurzeit Maler. Er wird für einen Monat bleiben und mir helfen, den Stall fertigzustellen.«
Anna-Karins Arm unterbrach die Bewegung zum Fensterspalt. Sie schaute Helena an, als würde sie sie gerade erst richtig wahrnehmen, und ihr Mund kräuselte sich zu einem Lächeln. »Na so was, Helena, das geht ja geschwind, diese Seite hast du aber sorgfältig versteckt.« Sie tat einen Zug an der Zigarette. »Mascara und alles.«
Helena schluckte. Unter dem Tisch ballten sich die Fäuste, und die Nägel bohrten sich in die Handflächen. »So ist das wirklich nicht. Er ist arbeitslos und brauchte einen Job, und ich brauche einen Maler.«
»Mhm, so klingt es immer. Und schlecht geschlafen habt ihr auch schon.«
Der Zorn pochte in ihren Schläfen. Sie war die Übergriffe von Anna-Karin so leid, ihre Art, nie zuzuhören, ihre aufgeblasene Selbstherrlichkeit. Helena hörte förmlich das Klicken, als sich in ihr ein Schalter umlegte.
»Im Ernst, Anna-Karin. Ich bin hundemüde und nicht gut aufgelegt. Eine Sache, die du anscheinend nie verstanden hast, ist, dass man mit einem Mann sprechen kann, ohne ihn unbedingt ins Bett kriegen zu wollen. Du solltest es vielleicht mal probieren, dann müsstest du nicht so enttäuscht sein.«
Es war schwer zu sagen, wer am meisten verblüfft war. Helena saß regungslos auf dem Stuhl, ihr Körper fühlte sich schwer und steif an. Warum sie gerade diese Worte gewählt hatte, wusste sie nicht.
Die Farbe schoss in Anna-Karins Wangen, als hätte sie eine Ohrfeige bekommen. Für eine kurze Weile wurde alles still. Dann zog sich ihr Mund zusammen, und sie drückte rasch die Zigarette auf dem Fensterbrett aus. Helena sah, dass sie auf den Mülleimer zusteuerte, und schloss die Augen in Erwartung des Klappens. Als sie aufschaute, stand Anna-Karin in der Mitte der Küche, mit freier Sicht auf die Rezeption. Mit langsamen Schritten ging sie weiter, und als sie die Kippe weggeworfen hatte, drehte sie sich um. Kein Wort sagte sie, sah Helena nur mit einem Blick an, der ihr furchtbare Angst einjagen sollte. Doch von ihrer Wut gestärkt, vermochte sie, ihm zu begegnen und standzuhalten.
Stille. Kein Wort wurde gesagt, es gab ohnehin nichts hinzuzufügen.
Anna-Karin ging zur Diele. Helena hörte das Knistern der Jacke und die Reißverschlüsse der Stiefel. Als die Küchentür geschlossen wurde, wusste sie, dass etwas vorbei war. Wie in der Mitte gespalten, tat sie einen abgehackten Atemzug. Die eine Hälfte wollte
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