Eine zweite Chance
Beschluss eines anderen zu beugen.
Die Geheimnistuerei hinter ihrem Rücken.
Das Gefühl, ein Außenseiter zu sein, so schwerwiegend, dass es alles andere in den Hintergrund treten ließ.
Sie hörte die Schritte ihrer Tochter oben und wie das Wasser, das sie verbraucht hatte, durch die Rohre schoss. Danach das Geräusch auf der Treppe, und dann tauchte sie in der Tür auf, blieb aber abrupt stehen.
»Hast du dich geschminkt?«
»Nein, ich habe nur ein bisschen Mascara benutzt.«
»Wie schön«, sagte Emelie und ging zur Anrichte, um sich ihre Brote zu streichen.
Helena betrachtete ihren Rücken, erstaunt über dieses plötzliche Kompliment, das so unverhofft gekommen war.
Emelie setzte sich, und Helena goss etwas Saft in ihr Glas. Eine Weile waren sie still, und Helena lag ihre Frage auf der Zunge. Es drängte sie, sie zu stellen, aber sie fürchtete eine unerwünschte Antwort. Sie machte einen Umweg und entschied sich stattdessen, von der Neuigkeit der letzten Nacht zu erzählen.
»Ich habe einen Maler angestellt, der uns helfen wird, den Stall fertig zu machen.« Emelie nahm einen Bissen von dem Butterbrot, sie zeigte kaum Interesse. »Es ist der Gast, der gestern angekommen ist, weißt du, von dem wir glaubten, er säße im Auto und würde schlafen.«
In Emelies Blick erwachte etwas zum Leben. »Warum saß er da?«
»Er hatte offenbar nur Kopfschmerzen.«
Emelie trank ein wenig Saft. »Und wann fängt er an?«
»Heute.«
Zum ersten Mal seit sehr langem zeigte sich ein Lächeln in Emelies Gesicht. Die Reaktion kam so unerwartet, dass auch Helena lächelte, quer durch alles hindurch, was sich in ihrem Inneren abspielte. Eine kleine Annäherung. Eine kleine, ersehnte Annäherung. »Was ist?«
»Deswegen hast du dich geschminkt?«
Helenas Lächeln erstarb so schnell, wie es gekommen war. »Nein, wirklich nicht, ich fand nur, dass ich heute so müde aussehe.«
Trotz des Missverständnisses fühlte sie, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg. Die Mascara war nur ein spontaner Einfall, ohne einen Zusammenhang mit dem Neuankömmling. Emelie aß weiter, ohne ihr kleines Lächeln aufzugeben. Aus irgendeinem Grund hatte Helena das Bedürfnis, sie zu überzeugen.
»Ich habe heute Nacht nicht sehr viel geschlafen und dachte, Mascara würde helfen. Ein bisschen repräsentativ muss man doch sein, wenn man ein Hotel betreibt.«
Eine Stille entstand, und Emelie kaute weiter, während Helena Anlauf nahm. Jetzt war die Gelegenheit da, solange Emelie einigermaßen gute Laune hatte. In einem Versuch, nicht allzu eifrig zu sein, verließ sie den Tisch und ging zur Kaffeemaschine.
»Hast du in letzter Zeit etwas von deinem Vater gehört?«
Für eine Weile blieb es still.
»Wieso?«
»Na, ich habe mich nur gefragt, es wäre doch nett, wenn er sich die Zeit nehmen würde, dich ab und zu anzurufen.« Ohne eigentlichen Grund öffnete sie den Kühlschrank und wurde auf diese Weise von der Tür verdeckt. Sowohl die Wortwahl wie der Ton waren misslungen, und das wusste sie selbst.
»Warum klingst du so sauer?«
»Nein, ich bin nicht sauer, es interessiert mich nur.« Sie schloss die Kühlschranktür und sah Emelie an. »Natürlich verstehe ich, dass er dir fehlt. Darum möchte ich nur wissen, ob er sich ab und zu meldet?«
Emelie nahm das leere Saftglas und ging zur Spülmaschine. »Nein, ich habe lange nichts gehört.«
Dann verließ sie die Küche, und die Lüge ließ Helena sich einsamer fühlen als je zuvor. Was ihr selbst misslungen war, hatte Martin offenbar geschafft, in sicherer Entfernung von den Problemen des Alltags und ohne sich mit der schmutzigen Wäsche oder dem langweiligen Abendessen befassen zu müssen.
Sie schüttete den letzten Rest Kaffee in das Spülbecken. Im gleichen Moment klopfte jemand an die Tür. Sie sah auf die Uhr und fragte sich, wer so früh am Tag zu ihr kam. Es wurden keine Lieferungen erwartet, und Anna-Karin hatte frei. Von sich aus würde sie hier nicht so früh auftauchen, und gerade heute wäre Helena dankbar dafür, wenn sie überhaupt nicht kam.
Sie ging hinaus in die Diele und öffnete die Tür. Auf der Treppe begegnete ihr Verners breites Lächeln. Jacke und Hose waren dieselben wie gestern, aber die verblichene Kappe hatte er ausgetauscht, und die grauen Haare schienen mit Wasser gekämmt worden zu sein. In der Hand hielt er ein Glas Kompott.
»Ich weiß, dass es schrecklich früh ist, aber Sie haben ja gesagt, dass Sie von sieben Uhr an auf sind.«
Sein Besuch kam ihr
Weitere Kostenlose Bücher