Eine zweite Chance
Verhandlungspartner war. Wären sie sich unter anderen Umständen begegnet, hätte Anders Strandberg sie wie eine Fliege zerquetscht.
Nachdem er fertig war, zeigte sie ihm die Küche. Ausgesprochen sicher bewegte sie sich zwischen den Schränken, das Einzige, was daran erinnerte, dass sie gerade geschlafen hatte, war der Abdruck auf ihrer Wange. Die ganze Zeit musste er sich bemühen, das Schwarze unter ihren Augen zu übersehen. Sollte er vielleicht etwas sagen? Aber wenn er sich entscheiden musste, sie entweder verlegen zu machen oder abzuwarten, dass sie in einen Spiegel sah, wählte er feige das Letztere.
»Wie steht es mit Arbeitskleidung?«
»Nicht so toll, muss ich gestehen. Kann ich mir von dir etwas ausleihen, bis ich dazu komme, mir etwas zu besorgen?«
»Im Vorratshaus hängt ein Blaumann. Den kannst du gerne haben.«
»Wem gehört er denn?«
»Niemandem, der ihn bräuchte.« Es war offensichtlich, dass das alles war, was sie dazu sagen wollte, und er fragte nichts mehr. Sie stand schon in der Tür. »Wollen wir dann in den Stall gehen?«
Der Anblick, der sich ihm von der Veranda aus bot, ließ ihn innehalten. Als sähe er alles zum ersten Mal. Die Landschaft war mit Raureif bedeckt, und das Gras vom Vorjahr lag funkelnd in weißen Wellen auf den Feldern. Jede Himmelsrichtung bot ein anderes Panorama. Sein Stockholmblick, der daran gewöhnt war, von Hausfassaden behindert zu werden, hatte die Möglichkeit, frei zu schweifen. Bis hinauf zu den Berggipfeln, wo das Ende der Welt wartete, und zurück hinunter über Wald und Felder. Der Himmel selbst schien weiter zu reichen.
»Kommst du?« Helena schien diese Pracht gar nicht mehr wahrzunehmen und war zu einer Scheune vorgegangen. Dort öffnete sie eine schwarz gestrichene Doppeltür, und Anders ging die Verandatreppe hinunter. »Das hier ist das Vorratshaus, und hier haben wir Holz und Werkzeug und sonst noch einiges, was du brauchen kannst. Das meiste liegt schon im Stall, aber wenn dir etwas fehlt, würde ich zuerst hier danach suchen.«
Anders überquerte den Hof. Er empfand eine Leichtigkeit, als wäre er berauscht. Plötzlich erinnerte er sich daran, wie er als Fünfzehnjähriger seinen ersten Ferienjob angefangen hatte. Vier Wochen lang Putzmann im Hotel Ramada.
»Hier.«
Helena reichte ihm den Blaumann. Sie hielt ihn zwischen Zeigefinger und Daumen, sichtlich bemüht, die Berührung zu meiden. Er nahm ihn entgegen, jetzt ein wenig zögernd, und als sie sich abgewandt hatte, roch er heimlich daran, konnte aber nichts Besonderes wahrnehmen.
»Da drüben stehen ein Paar Gummistiefel in Größe 43, falls du welche brauchst. Wollen wir in den Stall gehen und uns die Baustelle ansehen?«
Der Stall war in einem Winkel gebaut, sie betraten ihn von der einen Schmalseite her. Hinter der Tür begann ein Korridor mit Türen, die an beiden Seiten abgingen, und es war klar, dass er durch den alten Mittelgang des Stalls führte. Auf dem Steinboden war noch die Spülrinne zu sehen, hier und da sah man Balken von den alten Boxen. Über jeder Tür hingen Griffeltafeln und erinnerten an die früheren Kühe. Blenda, Rosa, Bella. Und dann plötzlich Greta Garbo, was ihn zum Lächeln brachte.
»Wie hübsch das ist. Toll, dass du so viel von der Atmosphäre des Stalls bewahrt hast.«
»Ja, es ist schön geworden.«
Sie waren am Ende des Korridors angelangt, bogen um die Ecke und standen vor einer Wand mit Bauplastik. Auf der anderen Seite wartete sein neuer Arbeitsplatz. In einem Wirrwarr von Holzstücken, Sägespänen, offenen Schraubenkartons, Farbeimern und gestapelten Dielen und Leisten durchfuhr ihn kurz ein Gefühl der Unlust. Direkt vor ihm stand ein Metalltisch mit hochgeklapptem Sägeblatt. Er betrachtete die scharfen Zacken und schauderte.
»Es sieht tatsächlich schlimmer aus, als es ist, ich habe nur noch keine Zeit gehabt aufzuräumen, nachdem die Schreiner da waren.«
Natürlich wäre es am einfachsten zu gehen. Den Wahnsinn zuzugeben, in den er sich hineinbegeben hatte, und sich zurückzuziehen. Doch danach müsste er der sein, den er so leicht aufgegeben hatte. Der sich aus purer Bequemlichkeit gegen die Möglichkeit entschieden hatte, die ihm momentan als die einzig mögliche Rettung erschien. Wenn er jetzt umkehrte, blieb nur eine Alternative, die nicht mehr vernünftig wirkte. Es gab so vieles, was er noch tun wollte. Er wusste nur nicht, was und wie er da hinkommen sollte. Deshalb stand sein Entschluss fest.
Er ging zu einer offenen
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