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Eine zweite Chance

Eine zweite Chance

Titel: Eine zweite Chance Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Alvtegen
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Ich heiße Ingvar und möchte diese Stunde der Quantenphysik widmen. Oder der Quantenmechanik, wie man auch sagt.«
    Einer dreht den Kopf und sieht Anders an. Er lässt sich nichts anmerken und richtet den Blick auf eine Grundstofftabelle. Er kann ein bisschen mit dem Stuhl kippeln, wenn er es nur vorsichtig anstellt.
    »Nun sollt ihr nicht enttäuscht sein, wenn ihr nichts von dem, was ich euch in dieser Stunde erzähle, versteht. Ein großer Teil dessen, was die Quantenphysik beweist, liegt nämlich jenseits der Grenzen, die unsere Vernunft bewältigen kann. Niels Bohr, der 1922 den Nobelpreis für Physik bekam, hat gesagt, jeder, der nicht schockiert ist, wenn er zum ersten Mal auf die Quantentheorie stößt, kann sie unmöglich verstanden haben. Und Richard Feynman, der 1965 den Nobelpreis erhielt, sagte Folgendes: Ich wage es ruhig zu behaupten, dass niemand die Quantenphysik versteht.«
    Jonny hebt die Hand. »Wozu brauchen wir dann diese Stunde? Wenn wir auf jeden Fall nichts begreifen werden, ist sie doch völlig sinnlos?«
    Es wird gekichert, und Jonny sieht zufrieden aus. Der Störenfried der Klasse mit dem selbst gewählten Auftrag, die Lehrer zu provozieren, besonders Aushilfslehrer. Anders schaut sehnsüchtig zur Tür.
    »Gute Frage!«, sagt das Proton und springt vom Katheder auf. Engagiert und mit einem Bewegungsmuster, das Anders noch nie zuvor gesehen hat. »Aber was sinnlos ist und was nicht, ist nur eine Frage der Perspektive. Wenn wir etwas als sinnlos oder dumm empfinden, kommt das nur daher, dass wir an unsere eigenen Grenzen erinnert werden. Dann haben wir etwas gefunden, was nicht zu unserer gewöhnlichen Art zu denken passt. Das Neue fühlt sich immer schwierig an, denn dadurch werden wir gezwungen, etwas zu verändern, woran wir uns gewöhnt haben.« Sein Zeigefinger fährt in die Luft. »Aber genau in diesem Punkt unterscheidet sich das Genie. Ein Genie lässt sich nie von dem begrenzen, was er oder sie schon zu wissen meint. Fragst du einen Erfinder, einen Wissenschaftler oder einen wahren Künstler, was sinnlos ist, würden sie antworten, es sei das, was gerade in diesem Moment unbegreiflich erscheint, aber sinnvoll werden wird, sobald man den richtigen Blickwinkel gefunden hat.«
    Jonny macht einen erneuten Versuch. Die Arme gekreuzt und mit einer Miene von durchtriebenem Desinteresse. »Ich kapiere überhaupt nichts.«
    »Gut, dann wirst du es vielleicht sein, der in ein paar Jahren den Nobelpreis bekommt.«
    Es wird gelacht, und Jonny windet sich. Anders schaut verwundert zu seinem Vater hin. Wie er dort vorne steht, lebhaft und mit eifrigen Bewegungen. Nahezu charismatisch.
    »Wenn wir nun alle vorgeben, Genies zu sein, uns nicht von dem begrenzen zu lassen, was wir schon wissen, werde ich euch eine kleine Kostprobe des Mysteriums geben. Dann ist es an euch, ob ihr weitersuchen wollt. Aber eins müsst ihr wissen: Wofür ihr euch auch entscheidet, es wird da sein, ihr tragt es mit euch herum, buchstäblich bis in euren kleinsten Bestandteil hinein.« Er macht eine Kunstpause und lässt seinen Blick über die Klasse schweifen. Danach eine Bewegung mit den Armen, um das ganze Klassenzimmer mit einzuschließen. »Ihr und alles andere, was ihr um euch herum seht. Und es ist dort, auf der subatomaren Ebene, wo das wirklich Bemerkenswerte geschieht.«
    »Was bedeutet subatomar?«
    »Das, was kleiner ist als das Atom. So unendlich kleine Partikel, dass unsere Augen sie nicht wahrnehmen können. Lasst uns ein Wasserstoffatom vergrößern, dann versteht ihr, wovon ich spreche.« Er geht zur schwarzen Tafel, nimmt ein Stück Kreide und beginnt zu zeichnen. »Wenn wir uns vorstellen, dass ein Atom so groß ist wie ein Basketball. Dann wäre das Elektron, das ihn umkreist, ungefähr dreißig Kilometer entfernt. Dazwischen gibt es nichts, aber Gott sei Dank ist der Zwischenraum nicht leer, sondern voller starker Energie. Und das ist ein Glück, denn sonst wärt ihr alle und die Stühle, auf denen ihr sitzt, nur ein Vakuum. Und nun kommen wir zum ersten Mysterium.«
    Er schaut über die Klasse hinaus und streift sich unsichtbaren Kreidestaub von den Händen.
    »Lasst uns das mit diesem Elektron etwas näher untersuchen. Jetzt, da ich ihm den Rücken zugekehrt habe, tritt es wie eine Welle auf, es verbreitet sich also wie eine Geräusch- oder Wasserwelle. Es hat keine exakte Position.« Seine Hand macht eine wellenartige Bewegung in der Luft. »Aber! Was geschieht, wenn ich es betrachte?« Er sieht

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