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Eine zweite Chance

Eine zweite Chance

Titel: Eine zweite Chance Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Alvtegen
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Tür und schaute in ein Zimmer, das mit Gipsscheiben ausgekleidet war. Die Fugen waren weiß gespachtelt und alles bereit zum Anstreichen.
    »Das Beste wäre, sich die Zimmer der Reihe nach vorzunehmen, statt hier und da etwas zu machen. Der Korridor muss vor dem Sommer fertig sein und mindestens drei von den Zimmern.«
    Er nickte.
    »Was meinst du?«
    »Ja.«
    »Ist es mehr, als du angenommen hast?«
    »Aber nein, ich werde alles erledigen, so gut ich kann.«
    Sie lächelte, und er ahnte ihre Dankbarkeit.
    »Du musst es wohl einfach versuchen und sagen, wenn du es bereust. Wir rechnen pro Stunde ab, wie wir es vereinbart haben.«
    Anders ging in das Zimmer und zu einem der Farbeimer. »Ist das für die Wände?«
    Sie nickte. »Ja, und die am Fenster ist für die Täfelung.«
    »Okay. Dann bleibt mir wohl nichts anderes, als loszulegen.«
    Nachdem Helena gegangen war, zog er den Blaumann an und goss etwas Farbe in den Farbbottich. Er erinnerte sich an seine erste Wohnung in Stockholm, die er untergemietet hatte. Eine kleine Einzimmerwohnung mit Dusche im Keller. Er hatte die verräucherten Wände weiß gestrichen, es genossen, alles zu renovieren und etwas anpacken zu können. Er erinnerte sich an das Gefühl danach, als er das Resultat betrachtet und sich stolz und zufrieden gefühlt hatte. So würde es heute sicher nicht mehr sein.
    Voller Entschlossenheit ging er ans Werk. Die Rolle fuhr über die Wand und wurde wieder in die Farbe getaucht. Bald ging die Bewegung mechanisch, und seine Gedanken konnten sich mit etwas anderem beschäftigen. Erst dachte er, dass das gefährlich sei, aber seine Stimmung hatte sich inzwischen verändert. Der Blaumann war seine Hülle geworden. Überlegungen und Erinnerungen fühlten sich weniger erschreckend an. Jetzt konnte er sich ihnen neugierig nähern, als würde er für jemand anderen denken.
    Er schaute auf die Wand vor sich. Jeder nicht gestrichene Quadratzentimeter glich einer Frist. Die Oberfläche mal die Farbe mal die Zeit. Die Gleichung führte weiter zu seiner Armbanduhr, er nahm sie ab und steckte sie in seine Tasche. Einsteins Uhr brauchte nicht mit Malerfarbe bekleckert zu werden.
    Wieder war er mit den Gedanken bei seinem Vater. Der Physiklehrer Ingvar Strandberg, in den Schul-Korridoren nur »das Proton« genannt. Er hatte nicht mehr erfahren können, dass sein Sohn Albert Einsteins Armbanduhr tragen würde. Das Genie, das die Quantenphysik ablehnte. Er fragte sich plötzlich, ob er deswegen so gern die Uhr hatte besitzen wollen, billig war sie ja nicht gerade gewesen. Jetzt kam ihm der Gedanke, dass dieser Kauf eine verzögerte Trotzhandlung war. Dass er die Uhr als Symbol dafür am Arm trug, Abstand von seinem Vater zu nehmen.
    Anders und Einstein gegen das Proton.
    Das wäre in jedem Fall äußerst kindisch.
    Der geborgte Blaumann erlaubte eine wohltuende Distanz zu seinen gewöhnlichen Gedankenpfaden. Er konnte sich ein wenig abseits stellen und dadurch Dinge erkennen, die er sonst übersehen hatte. Erinnerungen, die im Hintergrund geblieben waren. Die wehgetan hätten, wenn er ihnen erlaubt hätte, sich ungehindert auszubreiten. Doch da war noch mehr. Dinge, die er aus irgendeinem Grund zu vergessen beschlossen hatte.
    Abgelegte Erinnerung:
    Gespeichert: 1978. Ort: Klassenzimmer A 2:10 im Gymnasium von Huskvarna.
    Er sitzt ganz hinten im Chemie- und Physiksaal. Der Geruch ist derselbe wie immer, scharf und muffig von Chemikalien und verbranntem Metall. Die Ausdünstungen der Experimente, die in dem Raum gemacht wurden, haben sich im Inventar festgesetzt. Der Geruch ist untrennbar mit den Laborbänken und ihrer dunkelgrünen Platte verbunden, an denen die Schüler auf hohen Stühlen sitzen, auf denen es leider schwierig ist zu kippeln, wenn man besonders lässig wirken möchte. In dieser Unterrichtsstunde fühlt sich das besonders wichtig an, da der Lehrer krank ist und die Klasse das Proton als Aushilfslehrer bekommen hat. Anders hat sich einen Platz nahe der Tür gesichert. Er hat überlegt zu schwänzen, sich dann aber entschieden, dass es für ihn einfacher ist, selbst Zeuge des Debakels zu werden, als es erst hinterher beschrieben zu bekommen. Auch wenn sein Image in der Schule gut ist, da er in einer Rockband spielt, gibt es sicher Grenzen für das, was eine E-Gitarre überbrücken kann. Alle im Saal wissen, dass es sein Vater ist, der auf dem Katheder sitzt. Bekleidet mit der braunen Cordjacke, die er immer bei der Arbeit trägt.
    »Willkommen, ihr alle.

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