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Eine zweite Chance

Eine zweite Chance

Titel: Eine zweite Chance Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Alvtegen
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sie etwas davon hörte. Aber das tat sie, und sie staunte. Anfangs hatte sie geglaubt, ihre Mutter würde nur lügen, verstand aber ziemlich bald, dass das, was sie sagte, ihre Sicht der Wahrheit war. Dass sie tatsächlich selbst daran glaubte. Den Worten, die ihr Vater gesagt hatte, wurde ein anderer Inhalt gegeben, sie wurden aus ihrem Zusammenhang gerissen und in neue Richtungen geschoben. Alles wurde verzerrt, um den Zwecken ihrer Mutter zu dienen. Und damit sie keine Schuld tragen musste. Mit jedem Tag, der verging, wurde Emelie wütender. Dass ihre Mutter ein verlogenes Bild der Wahrheit erschaffen hatte, war schlimm genug, aber das Bild, das sie gewählt hatte, verwandelte Emelie auch noch in eine Verräterin. Eine Reise nach Stockholm über das Wochenende wurde zu einem Verrat. Ein Telefongespräch, eine SMS , ihr Chat auf Facebook. Jeder Kontakt mit ihrem Vater musste geheim gehalten werden. Nichts wurde geradeheraus gesagt, aber das verbitterte Schweigen sprach umso lauter.
    Ihr Märtyrertum war zu einer Vollzeitbeschäftigung geworden.
    Für sie beide.
    Und die Wut im Inneren wuchs.
    Denn Emelie hatte auch gehört, was an diesem Tag in der Küche gesagt worden war.
    »Setz dich zu mir, Helena, wir müssen reden, du und ich.«
    Sie ist gerade in die Diele gekommen, aber niemand scheint sie gehört zu haben. Der Bus war schon abgefahren, als sie die Straße hinunterkam, jetzt ist sie zurück, um sich in die Schule bringen zu lassen. Sie weiß nicht, was sie neugierig macht. Vielleicht ist es der besondere Ton in der Stimme ihres Vaters.
    Ein Stuhl wird in der Küche zurechtgerückt.
    »Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll.«
    »Ist etwas passiert?«
    Für eine ganze Weile wird es still. Emelie versteht, dass das, was jetzt gesagt werden wird, nicht für ihre Ohren bestimmt ist, aber der Augenblick, in dem sie sich hätte bemerkbar machen können, ist vorbei.
    »Glaubst du, dass du mich kennst?«
    »Wie meinst du das?«
    »Ich möchte nur wissen, ob du glaubst, mich zu kennen.«
    »Natürlich tue ich das, ich verstehe die Frage nicht.«
    »Okay, dann lass mich die Frage so stellen. Was glaubst du, was ich gegenüber dem Umzug hierher nach Norrland empfinde, für das Hotel und dafür, dass wir hier oben wohnen?«
    »Ich weiß, dass du gesagt hast, dass du dich hier nicht besonders wohlfühlst.«
    »Das hast du immerhin verstanden. Wie kommt es dann, dass wir überhaupt nie darüber sprechen, dass ich am liebsten nach Stockholm zurückziehen würde?«
    »Darüber haben wir doch gesprochen.«
    »Haben wir? Wann?«
    »Als du das gesagt hast, dass du dich nicht wohlfühlst.«
    »Das ist jetzt bald ein Jahr her. Seitdem hast du kein einziges Mal gefragt, ob sich etwas daran geändert hat.«
    Eine kleine Hoffnung flammt in Emelies Brust auf. Vielleicht bedeutet das hier, dass sie wieder nach Stockholm ziehen werden. Nach Hause nach Stockholm, wo all ihre Freunde sind.
    »Im Ernst, Helena, was haben wir eigentlich geglaubt, hier oben zu finden?« Sie meint, Resignation in der Stimme ihres Vaters zu hören.
    »Aber wir haben doch das Hotel noch nicht einmal fertiggestellt. Wir können doch nicht aufgeben, ohne ihm überhaupt eine Chance zu geben?«
    »Es geht nicht um das Hotel. Wir wohnen seit zweieinhalb Jahren hier, und ich finde, damit haben wir dem Ganzen eine gerechte Chance gegeben. Ich fühle mich hier nicht wohl. Ich fühle mich einsam. Unsere Freunde fehlen mir.« Er seufzt. »Ich will nicht hier wohnen, Helena. Ich will wieder nach Hause nach Stockholm ziehen.«
    »Und wenn ich das nicht will?«
    »Das ist es, was ich zu sagen versuche. Wir haben ein Problem.« Jemand steht auf und geht durch den Raum. So leise wie nur irgend möglich öffnet Emelie die Speisekammertür und schlüpft hinein. Der Wasserhahn wird aufgedreht, dann wieder Schritte, danach Stühlerücken und Schweigen. Emelie lässt die Tür einen Spalt weit offen. »Ich weiß, dass dieser Ort dein Kindheitstraum ist, und ich wollte so gern, dass du ihn wiedererleben könntest, diesen Traum. Ich dachte, es wäre gut für uns, wenn sich die Dinge verändern würden … aber das haben sie ja nicht getan.«
    »Das kommt doch daher, weil es noch nicht fertig ist, es wird anders, wenn alles getan ist.«
    »Was willst du mit diesem Hotel beweisen? Warum nicht den Tatsachen ins Auge sehen und sich eingestehen, dass das Ganze ein Fehler war? Wir werden nicht davon leben können, jedenfalls nicht, wenn wir es uns leisten wollen, etwas anderes zu tun,

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