Eine zweite Chance
nach Hause zurückziehen?«
Es wird ganz still in der Küche. Emelie zuckt zusammen, als der Kühlschrank plötzlich losbrummt.
»Ich finde nur, wir sollten dem Hotel eine Chance geben.«
»Auf Kosten von was?« Ihr Vater klingt plötzlich wütend. »Emelie will zurück, ich will zurück, nur du willst hier oben wohnen. Ich habe dem Plan eine ehrliche Chance gegeben, aber es klappt nicht. Unsere Ehe ist dabei, den Bach runterzugehen! Ich weiß, dass du phantastische Kindheitserinnerungen von hier hast, aber das, was damals hier war, lässt sich nicht wieder heraufbeschwören, es gehört der Vergangenheit an. Antworte mir ehrlich, Helena, liebst du mich wirklich?«
»Was?«
»Ich frage, ob du mich liebst.«
»Ja.«
»Warum sagst du es dann nie?«
Jetzt war es ihre Mutter, die schnaubte. »Niemand kann behaupten, du würdest es selbst besonders oft sagen.«
»Nein, und weißt du, warum? Ich kenne dich nicht. Ich weiß nicht, was du denkst und fühlst, welche Träume du hast, was dir Spaß macht. Denn wir machen ja nichts mehr zusammen, außer uns in unseren Blaumännern hier abzurackern. Ich habe versucht, ein Gespräch in Gang zu bringen, aber das ist, wie wenn man versucht, einen mit Wasser gefüllten Ballon gegen eine Wand zu werfen. Es macht nur platsch, und nichts kommt zurück. Nur ich bin es, der redet und redet und redet. Ich bin es so verdammt leid, meine eigene Stimme zu hören und dass du nie sagst, was du denkst.«
»Ich habe doch gerade gesagt, was ich denke!«
Es ist das erste Mal, dass Emelie sie streiten hört. Die Angst flattert in ihrer Brust, denn sie weiß nicht genau, was das bedeutet. Zugleich kommt ihr in den Sinn, wie selten sie die beiden zusammen lachen sieht. Sie reden meistens über Tapeten und Farben an den Wänden. Über Leitungen, die gezogen werden müssen. Sie hört eigentlich nie so genau hin, sondern hat einfach vorausgesetzt, dass es so was ist, worüber ihre Eltern reden.
»Warum sagst du das alles gerade jetzt?« Ihre Mutter klingt enttäuscht.
»Du meinst, da wir so viel anderes zu tun haben?«
»Nein, ich finde nur, dass …«
»Was denn? Dass ich unrecht habe? Es ist etwas passiert, das mich zur Einsicht gebracht hat, dass wir unsere Probleme anpacken müssen. Jetzt, auf der Stelle.«
»Ach so?«
»Es wird dich vielleicht traurig machen, Helena, aber leider muss ich es sagen, wie es ist. Ich habe einmal vor langer Zeit versprochen, dass ich es erzählen würde, wenn so etwas passiert. Und jetzt ist es passiert, auch wenn ich es nur als eine …«
»Du hast eine andere getroffen.«
»Nein, so möchte ich es nicht nennen. Aber ich habe mich verliebt.«
Eine Großpackung Basmatireis wird lange mit diesem Augenblick verbunden sein. Das ist es, was ihre Augen sehen, als sie diese schwindelerregenden Worte hört. Dann verliert sie den Halt. Sie kann nicht glauben, dass es wahr ist. Sie und ihre Freundinnen verlieben sich, nicht fünfzigjährige Väter. Besonders nicht ihr Vater. Ihn interessiert so etwas nicht. Alles andere wäre eklig.
»Aha, dann verstehe ich. Das erklärt, warum du die letzten Wochen so guter Laune warst. Als Mikaela hier war.« Die Stimme ihrer Mutter hat sich verändert. Sie ist nicht traurig, nicht wütend, sondern einfach nur fremd.
»Ja, leider ist es so, ich müsste lügen, wenn ich etwas anderes sagen würde. Aber es bedeutet nicht, dass etwas geschehen ist.«
»Aha, du meinst also, dass nichts geschehen ist?« Eine Nähmaschinennadel. So klingt ihre Stimme. Spitz und effektiv.
»Ich meine zwischen Mikaela und mir. Wir haben uns ein paarmal unterhalten, das ist alles. Und wenn das reicht, damit ich mich verliebe, stimmt doch wohl irgendwas nicht.«
»Okay, dann ist es also meine Schuld, wenn du fremdgehst. Ist es das, was du mir sagen willst?«
»Es ist ja genau das, was ich nicht getan habe. Wenn du zuhören würdest, dann könntest du vielleicht hören, dass ich unsere Ehe zu retten versuche, da ich ganz offensichtlich dabei bin, sie zu verlieren.«
»Das war es wohl, was ich die ganze Zeit schon wusste.«
»Hör mal, komm jetzt nicht und gib mir die Schuld für alles. Ich weiß, dass du glaubst, alle würden dich früher oder später verraten, aber halt mich da raus. Ich bin weder untreu gewesen, noch habe ich etwas hinter deinem Rücken getan. Ich sitze doch hier und erzähle. Entweder entscheiden wir uns dafür zu versuchen, das alles gemeinsam durchzustehen, oder wir müssen uns vielleicht …« Der Satz wird abrupt beendet,
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