Eine zweite Chance
verwandelte.
Als er das erkannte, überkam ihn Angst, eine Angst davor, was das Neue bedeutete. Wenn er es als wahr akzeptierte, was hatte er dann noch alles nicht verstanden? Er würde alles neu bewerten müssen. Alles, was selbstverständlich erschienen war, würde sich in einem Chaos auflösen.
Er erinnerte sich an Verners Worte auf dem Acker. Man muss vorsichtig sein mit dem, was man sich wünscht, denn es kann sein, dass es in Erfüllung geht.
Es war so leicht gewesen, sich selbst zu versprechen, zu etwas Neuem nicht Nein zu sagen. Solange er selbst wählen konnte, war es ein harmloses Versprechen. Doch jetzt war er mitten in einer Prüfung. Bitte sehr, du hast um Veränderung gebeten – was willst du mit dieser anfangen? Helena saß neben ihm, Arme und Beine gekreuzt. Eine unbezwingbare Festung.
»Okay, dann weiß ich Bescheid. Danke, dass wir Sie besuchen durften.« Sie stand auf, und man musste nicht die Fähigkeit besitzen, Farben um die Menschen herum zu sehen, um zu erkennen, wie gekränkt sie war. In ihrer Stimme zeigte sich, wie sauer sie war. »Ich habe eine schwierige Scheidung durchgemacht, falls Sie das nicht schon in meiner Aura gesehen haben.« Ihre Hände zeichneten zwei wütende Anführungszeichen um das Wort Aura in die Luft. »Man wird etwas müde, wenn alles zusammenbricht und sich jeder gegen einen wendet. Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich es nicht geschafft habe, mich so zu benehmen, wie Sie es anscheinend für passend halten.«
Verner breitete die Hände aus. »Warum entschuldigen Sie sich?«
Sie holte Luft wie für eine Antwort, aber nachdem die Lippen sich kurz bewegt hatten, kniff sie sie zusammen und ging zur Tür. »Ich gehe jetzt, Anders, kommst du mit?«
Ihre Frage machte ihn zu einem unfreiwilligen Schiedsrichter. Unschlüssig blieb er sitzen. Was fängt ein armes Gehirn mit einer unbestreitbaren Information an, die in kein Muster passt?
Helena blieb in der Tür stehen. »Kommst du?«
Verner seufzte. »Liebe Helena. Wenn alles gegen Sie zu sein scheint, gibt es dann nicht Anlass, den Grund bei sich selbst zu suchen?«
Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, Helena drehte sich um und ging. Anders schenkte Verner ein unsicheres Lächeln, und nach einem letzten Blick auf eine Ecke von Lucy unter dem Bett erhob er sich und folgte ihr.
Er blieb vor Verners Tür stehen. Helena war schon ein Stück weit gekommen, er sah sie an der Fichte vorbeigehen, hinter der er sich selbst einmal vor Verner versteckt hatte. Vielleicht hätte er dahinter bleiben sollen. Er seufzte und sah Helena mit raschen Schritten davongehen. Wenn er sie einholen wollte, müsste er laufen, aber wollte er das wirklich?
»Helena, warte!«
Sie blieb abrupt stehen und drehte sich um. Ungeduldig wartete sie auf ihn. Ein paar Meter blieben noch, ehe sie wieder losging, mit ihm auf den Fersen. »Was für ein Idiot. Als wir da hingegangen sind, hatte ich eine Scheißangst davor, was er über Emelie sagen würde, und dann bekommt man so was zu hören. Jetzt verstehe ich wirklich, warum er allein in einem Häuschen im Wald wohnt und niemand etwas mit ihm zu tun haben will.«
Anders sagte nichts. Eine Antwort schien überflüssig zu sein. Sie fuhr fort, blind vor Empörung. Er hörte ihr eine Weile zu, wurde es aber bald leid. Er hatte genug mit sich selbst zu tun.
Auf getrennten Wegen gingen sie durch denselben Norrlandwald. Mit demselben Ereignis hinter sich, aber mit verschiedenen Erlebnissen.
Bereits als Verner das Wort Atome erwähnt hatte, hatte er den Impuls verspürt zu gehen. Sein Geschwätz über Auren war leicht zu verwerfen, aber als er mit der Partikelphysik ankam, war es Zeit, sich in Acht zu nehmen. Dort war alles weniger selbstverständlich, wie er aus Erfahrung wusste. Das Wort Atome hatte blitzschnell die Erinnerung an seinen Vater hervorgeholt und ihn überwältigt.
Wie sehr würde die Welt sich verändern, wenn wir alle abends für eine kurze Zeit lang den Blick auf die Sterne richten und der Unendlichkeit des Universums einen Gedanken widmen würden. Die Welt ist ein Mysterium, aber wir nehmen sie für gegeben hin und haben uns so an sie gewöhnt, dass wir ganz vergessen haben zu staunen .
Solche Dinge hatte er manchmal gesagt, wenn Anders sich nichts mehr gewünscht hätte, als ihn bei einem seiner Auftritte im Publikum zu sehen. Jetzt kam Verner mit etwas an, das ihn an diese verdammte Quantenphysik erinnerte, die seine Kindheit von innen ausgehöhlt hatte. Und
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