Einem Tag in Paris
Hund, seine Werkstatt, und er wünschte, er wäre zu Hause.
Er geht zum vorderen Teil des Boots. Er sieht die Treppe – eher eine steile Leiter –, die nach unten führt. Er kann nichts hören – kein Geschirr, das gespült wird, kein laufendes Wasser.
»Chantal?«, ruft er.
»J’arrive«, sagt sie. Ich komme.
Sie taucht am Fuß der Leiter auf und sieht zu ihm hoch. Hat sie geweint? Hat er am Telefon irgendetwas gesagt, das sie aus der Fassung gebracht hat? Es gibt keinen Grund, sie kennenzulernen.
Er tritt einen Schritt zur Seite und lässt sie vorbei. Sie geht weiter, und er folgt ihr zum Rand des Boots und dann auf den Pier. Diesmal bietet sie ihm nicht die Hand an, als er vom Boot an Land springt.
»Meine Frau hat uns eingeladen …«, beginnt er, und sie dreht sich zu ihm um. Sie hat Lippenstift aufgetragen. Ihre Lippen sind feucht. Ich kann noch zurück, denkt er. Ich kann ihre Hand nehmen.
»Ja?«
»… bei den Dreharbeiten zuzusehen. Sie dachte, es könnte Sie interessieren.«
»Wie nett von ihr.«
»Wir müssen nicht.«
»Natürlich«, sagt Chantal.
»Es ist sehr langatmig. Es ist nicht so glamourös, wie Hollywood uns glauben machen will.«
»Ich würde sehr gern mitkommen.«
Lindy trifft sie am Anfang der Pont des Arts. Eine gewaltige Menschenmenge hat sich hinter den Absperrungen zu beiden Seiten des Flusses versammelt. Lindy reicht jedem von ihnen einen Ausweis an einer Kordel, den sie sich um den Hals hängen.
»Mon papa!«, sagt sie zu dem jungen Wachmann, der den Blick nicht von dem Mädchen abgewandt hat. Jeremy sieht seine Tochter mit den Augen dieses Mannes. Sie sieht strahlend aus, trotz des kahl rasierten Kopfs – das Wort »reif« schießt ihm durch den Kopf, und Jeremy hasst sich für den Gedanken. Sie trägt ein eng anliegendes Tanktop über Brüsten, die seit dem letzten Herbst offenbar größer geworden sind. Sie hat ein bisschen zugenommen, was ihr gut steht – ihr Gesicht sieht voller aus, ihr Körper weniger verwahrlost. Jeremy sieht zurück zu dem Wachmann und will ihm am liebsten eine knallen.
Lindy führt sie durch die Lücke in der Absperrung und an dem Wachmann vorbei. Sie nimmt Jeremys Hand, als wäre er ein Kind. Sein Herz schwillt. Sie ist noch immer sein Kind, denkt er.
Er spürt den Sog, der ihn zu seinem Leben zurückzieht, dieser Tochter, die zu haben er nie erwartet hatte, zehn Jahre Mädchendasein, ein komplizierter Weg durch die jugendliche Wildheit und jetzt das hier, eine Suche, die sie zu einem Kloster und wieder zurück geführt hat. Alles seines. Er drückt ihre Hand.
Vor ihnen, mitten auf der Brücke, ist ein Wirbelwind aus Lärm und Bewegung und Ausrüstung und Beleuchtung – und in der Mitte all dessen brüllt ein zierlicher, wuscheliger Rotschopf – Pascale – Befehle. Jeremy mag Pascale. Sie ist eine Regisseurin, mit der Dana schon früher zusammengearbeitet hat, und sie sorgt offenbar dafür, dass sie in diesem irrsinnigen Geschäft nicht den Verstand verliert. Pascale fängt seinen Blick auf und wirft ihm eine Kusshand zu. Sie deutet auf ein Zelt am anderen Ende der Brücke. Und dann brüllt sie wieder ein paar Typen mit Pferdeschwänzen an, die ein Bett tragen. Ein Bett auf der Brücke?
»Hast du deine Freunde getroffen?«, fragt Jeremy Lindy, während sie auf das Zelt zugehen.
»Keine Freunde«, sagt sie. »Ich wollte dich deiner Französischstunde überlassen.« Sie wirft einen Blick zurück auf Chantal, die ein, zwei Schritte hinter ihnen folgt. »Warum ist sie hier?«
»Deine Mutter hat sie eingeladen«, sagt Jeremy leise, in der Hoffnung, dass Chantal ihn nicht hören kann.
Jeremy sieht zurück zu Chantal. Sie ist abgelenkt von dem Set und der Menge – ihre Augen sind weit aufgerissen, und ihr Gesicht glüht. Sie holt die beiden ein.
»Maman!«, ruft Lindy.
Dana steht am Eingang des Zelts und beobachtet sie. Jeremy, eingezwängt zwischen Chantal und Lindy inmitten des dichten Gedränges, spürt Chantals Arm an seinem. Er kann sich nicht wegbewegen. Dana lächelt, als wüsste sie, was er denkt.
Sie sieht wild aus, seine wunderschöne Frau. Sie trägt kein Make-up – oder trägt sie Make-up, um ihre vollkommenen Züge zu verzerren? Ihre sonnengebräunte Haut ist blass, ihr Haar angedrückt und matt, ihre Kleider ausgeleiert und abgetragen. Ist das ein Kostüm?
Einen unglaublichen Augenblick lang denkt Jeremy, dass sie jemand anders ist – die hässliche Assistentin seiner Frau – und dass der Star im
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