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Einen solchen Himmel im Kopf: Roman (German Edition)

Einen solchen Himmel im Kopf: Roman (German Edition)

Titel: Einen solchen Himmel im Kopf: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi , Stephanie Gleißner
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machte Späne, Gott sei dank, es war noch Glut im Ofen, es wurde schnell warm. Johanna stellte sich schlafend, ihre Hand berührte meinen Bauch, es sollte eine zufällige Berührung im Halbschlaf sein, doch ich spürte, dass sie hellwach war, dass sie lauerte, dass sie Angst hatte. Auch ich stellte mich schlafend, das war dasEinfachste, im Schlaf konnte ich mich von ihr wegbewegen, man bewegt sich nun mal im Schlaf, ich drehte mich auf die andere Seite, wandte ihr den Rücken zu, ihre Hand zuckte zurück.
    Es war Johanna, die darauf bestand zurückzukehren. Sie sagte, dass sie doch gut waren, diese Nächte, und dass wir uns das nicht von so einem dahergelaufenen DJ nehmen lassen sollten. Wir hatten doch immer noch uns – und überhaupt, die Musik und das Tanzen, das war doch schön. Im Hinterland wurde es Frühling. Eine Zwischenzeit, die die Bewohner nicht mochten. Die Wintersportgerätschaften hatten dann ausgedient, die Mountainbikes kamen wieder zum Einsatz, leuchteten grell in der aufgeweichten, blassen Landschaft. Nach den ersten hoffnungsvollen Ausfahrten kehrten sie verdreckt wieder in die Garage zurück. Dort warteten sie dann noch einige Wochen, in denen es andernorts Sommer wurde. Der Frühling im Hinterland war eine aufreibende Angelegenheit. Ich frage mich, ob die Alten auf den Bänken das kannten, dieses Gefühl, zu kurz zu kommen, übers Ohr gehauen zu werden! Ein fader Vorgeschmack wurde einem für das Ganze verkauft, man sollte sich damit zufriedengeben, während woanders aus dem Vollen geschöpft wurde. Johanna musste mich nicht lange überreden, zu diesen Samstagnächten zurückzukehren, der Frühling im Hinterland genügte.
    Ich hatte den Brahmanen nicht vergessen, ich hatte nur aufgehört, ihn zu suchen. Anfangs hatte ich sogar noch von der Tanzfläche aus nach ihm Ausschau gehalten. Johanna, die das natürlich bemerkte, sagte: »Glaubst du, du könntest ihn tatsächlich verpassen, ihn übersehen?« Es war nicht nötig, ihn zu suchen, ich würde, wenn er da war, seine Anwesenheit spüren, behauptete sie. Im vergangenen Sommer, der jetzt, kurz vor dem neuen Sommer, schon sehr weit weg, als ein ganz anderer Sommer erschien, hatte sie mir erklärt, was es mit den Heiligenbildern auf sich hatte. »Ich sehe das so«, hatte sie damals gesagt. An diese Wendung erinnere ich mich wortgenau, an das, was danach kam, nur dem Inhalt nach, aber dieses »Ich sehe das so« war so untypisch für Johanna, dass ich es mir gemerkt habe. Das große Problem der Heiligen und Märtyrer sind nicht Folter, Zweifel und gebrochene Lebensläufe. Das große Problem ist, dass sie nicht als Heilige erkannt werden. Sie leben als Menschen unter Menschen. Ihr Glaube und ihre Überzeugung machen sie vielleicht zu Außenseitern, doch ist dieser Status nicht zwangsläufig mit Respekt verbunden; die Gemeinschaft, von der sie sich absetzen, hält sie gemeinhin für verblendet, sieht sie als Opfer eines falschen Selbstbildes. Die Heiligen werden durch Wunder beglaubigt. Das Wunder ist für die anderen bestimmt, nicht für die Heiligen, die brauchen es nicht mehr, die glauben bereits, und deswegenkommt das Wunder für sie meist zu spät. Es soll sie nicht retten, sie sollen sterben. Das Wunder ist nur dazu da, den Umgebenden ihre Täuschung vor Augen zu führen, ihnen zu zeigen, wen sie da hinrichten. Auf den Bildern kommen die Heiligen zu ihrem Recht. Auf den Bildern erkennt man die Heiligen sofort, obwohl sie auch hier Menschen unter Menschen sind, die sich in Aussehen und Kleidung nicht wesentlich unterscheiden. In der Bedrängnis enger Marktgassen umgibt sie ein kleiner Freiraum, eine Art Hof, der entstanden ist, weil die sie Umgebenden einen Schritt zurückgetreten sind. Die Heiligen stehen im Licht eines einzelnen Strahls, um sie herum Schatten und Dunkelheit. Der Lichtstrahl ist nur für sie bestimmt, er ist konzentriert und zielgerichtet. Die Augäpfel treten an den Rand ihrer Höhlen, auch die Finger spreizen sich diesem Strahl entgegen. Durch die offenen Male in den Händen und an den Füßen fährt der Strahl in ihre versehrten Körper, die sich wie Pflanzen hoch, ihrer Quelle entgegenwinden.
    Hans Kohls stand in keinem Lichtstrahl, er stand neben mir am Ausgang, neben dem Zigarettenautomaten, das angewinkelte Bein gegen die Wand gestemmt, die Kapuze seines Parkas tief ins Gesicht gezogen. Ich fragte den Typen, mit dem er sich unterhielt, ob er mir den Schein wechseln könne. Er förderteaus seinen Hosen- und Jackentaschen

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