Einen solchen Himmel im Kopf: Roman (German Edition)
warmes, selbstbewusstes Lächeln, das sogar die Alten in ihrer Empörung bemerkten. »Was grinst er denn jetzt so saudumm?«, keiften sie. Und Johanna? Johanna lächelte zurück.
Ich sagte lange nichts und dann: »Das ist doch ein Männername.« Sie trug einen weinroten Rollkragenpullover, darüber eine goldene Gliederkette, ihr blonder Pferdeschwanz wippte auf halber Höhe. Sie hatte den überlegenen Gesichtsausdruck von Frauen, die sich schon abends die Kleider für den kommenden Tag zurechtlegen und morgens einen frisch gepressten Orangensaft trinken. Ich mochte sie auf Anhieb nicht.
»O nein, Bé-né-dicte«, wiederholte sie gespreizt.
»Französisch, weißt du, mit Akzent und ›e‹ hintendran, das man aber nicht ausspricht«, fügte Severin eifrig hinzu.
Die größte Enttäuschung war, dass er auf einmal so saudumm wirkte. Ich war vor den Kopf gestoßen und froh, dass Johanna einsprang und etwas sagte.
»Viele Historiker zweifeln daran, dass es Benedikt von Nursia überhaupt gegeben hat. Und das zu Recht. Die einzige Quelle, aus der sich die Legende speist, stammt von Gregor dem Großen, und hagiographischer geht es ja gar nicht.«
Bénédicte hatte sich entschlossen, uns nicht mehr zu beachten. Sie wandte sich an Severin: »Ich dachte,ich überrasche dich heute einfach mal und hol dich ab, und wir gehen zusammen frühstücken. Ich hab noch nichts zu mir genommen. Mein Magen knurrt schon. Wollen wir gehen, Schatz?«
Die Überraschung war ihr gelungen, Severin fühlte sich sichtlich unwohl, auch er war für einen schnellen Aufbruch.
»Wenn der Dame der Magen knurrt, wird es höchste Zeit«, verabschiedete er sich.
Johanna wandte sich mir zu.
»Ich habe noch nichts zu mir genommen«, wiederholte sie kopfschüttelnd, »unglaublich!« Und nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: »Der Resident DJ und seine Groupies mit französischen Heiligennamen.«
»Ihre Namen passen halt auch echt gut zusammen«, gab ich zu bedenken.
Wir triumphierten nur kurz. Als die beiden umständlich Arm in Arm die Treppen hochstiegen und Severin sich nicht, wie sonst, noch einmal umdrehte, um mir zuzuzwinkern und mir so zu bedeuten, dass das alles nur ein Witz war, fiel etwas in mir zusammen. Die Luft war raus, ich sah die Discokugel und die Fototapete. Sie machten mich wütend. Nicht die Discokugel und die Fototapete an sich machten mich wütend, sondern, dass sie ironisch gemeint waren. Ich murmelte: »Es ist so armselig und schäbig«, und ich wollte Johanna erklären, was so armselig undschäbig war, doch brachte es nicht zustande. Ich rieb mich auf an Details und meinte doch das, was dahinterstand, und gleichzeitig sah ich mich, wie ich betrunken war und mit Worten randalierte: »Dieser ganze Ironie-Scheiß«, kläffte ich. Mich ekelte vor mir selbst, und als wir am Ausgang des Areals an dem Imbissbudenstand vorbeikamen, vor dem die Hübschen und Zarten gleichgültig in Pommes und Currywurst herumstocherten, bäumte sich etwas in mir auf. Ich wollte hinübergehen, sie zusammenschlagen und ihnen die Fritten und die Wurst im Gesicht verschmieren. Ich wollte sehen, ob sie auch schreien konnten oder nur winseln, ob etwas passierte in ihren Gesichtern, wenn man sie in den Boden drückte. Johanna hielt mich zurück. Sie packte mich an den Schultern mit einer Kraft, die ich ihr nicht zugetraut hätte. Ich weinte und verschmierte meinen Rotz in ihren Haaren, ich konnte nicht mehr aufhören. Sie machte »Sch-sch« und strich mir mit großen kreisenden Bewegungen über den Rücken.
»Ich hab doch gesagt, dass er auch nicht anders ist«, rutschte es ihr heraus. Ich spürte, dass sie es, schon während sie es sagte, bereute, doch es war zu spät, ich stieß sie weg.
»Du hasst ja sowieso alle Männer! Meinetwegen, warte du auf den heiligen Franz, mir reicht das nicht!«, herrschte ich sie an.
Im Zug war ich sofort eingeschlafen. Eine Lautsprecherdurchsageweckte mich, sie war nicht Teil eines Traums, wie ich zunächst geglaubt hatte. Ich blickte hoch, über mir Johannas Gesicht, mein Kopf lag in ihrem Schoß, sie hatte mich mit ihrer Jacke zugedeckt. Sie schlief nicht, sondern schaute starr aus dem Fenster. Erst als ich mich aufrichtete, zuckte sie zusammen. Sie kam von weit her.
»Hast du die Durchsage gehört, Johanna?« Ich versuchte, meine Stimme ganz sanft klingen zu lassen, sie sollte hören, dass darin eine Entschuldigung lag. »Wir müssen aussteigen. Sie haben die Strecke gesperrt. Es gibt Schienenersatzverkehr.«
Wir
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