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Einer trage des anderen Schuld

Einer trage des anderen Schuld

Titel: Einer trage des anderen Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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doch sie hatte Monk auserwählt. Später hatte er Margaret Ballinger geheiratet und bei ihr ein Glück gefunden, das viel besser zu seinem Naturell passte. Margaret konnte ihm Kinder schenken, aber noch augenfälliger war, dass sie gesellschaftlich auf der gleichen Stufe stand. Sie war ruhiger und besonnener als Hester; sie wusste, welches Verhalten von einer Lady Rathbone, Gattin des begnadetsten Anwalts von London, erwartet wurde.
    Monk hob die Hand und strich ihr so sanft über die Wange, dass sie mehr als seine Berührung seine Wärme spürte.
    »Um Scuffs willen muss ich wissen, ob Ballinger beteiligt war«, antwortete er ihr. »Dann merkt der Junge wenigstens, dass ich mich bemühe. Und Rathbone muss das Gleiche tun, selbst wenn er die Sache am liebsten auf sich beruhen lassen würde.«
    »Hast du vor, mit ihm darüber zu sprechen?«
    »Bisher bin ich diesem Thema ausgewichen und er genauso. In den letzten zwei Wochen hat er einen anderen Fall vor Gericht vertreten, doch das ist jetzt erledigt, sodass er die Sache nicht länger auf die lange Bank schieben kann.«
    »Bist du sicher, dass er es wissen muss?«, drängte Hester. »Der Schmerz, den das für ihn bedeuten würde, wäre unerträglich, und er hätte keine andere Wahl als zu handeln.«
    »Eine solche Haltung entspricht gar nicht deinem Wesen«, meinte Monk nachdenklich.
    »Der Wunsch, jemandem zu helfen, Schmerzen zu vermeiden?« Einen Moment lang war sie regelrecht empört.
    » Etwas zu vermeiden«, verbesserte er sie. »Du bist als Krankenschwester zu gut, um eine Stelle verbinden zu wollen, von der du weißt, dass sie operiert werden muss. Wenn es Wundbrand ist, muss man den Arm amputieren, sonst stirbt der Patient. Das hast du mich selbst gelehrt.«
    »Nennst du mein Verhalten feige?« Obwohl Hester das letzte Wort absichtlich benutzte, zuckte sie in dem Moment, da sie es aussprach, zusammen. Sie hatte im Krimkrieg Verwundete gepflegt und wusste, dass »Feigling« für einen Soldaten in jeder Sprache die schlimmste vorstellbare Beschimpfung darstellte, übler noch als »Betrüger« oder »Dieb«.
    Monk beugte sich vor und küsste sie. Seine Lippen verweilten nur kurz auf den ihren. »Man braucht keinen Mut, wenn man keine Angst hat«, erklärte er. »Es dauert nur ein wenig, bis man sich sicher ist, dass es keine Alternative gibt. Scuff braucht die Gewissheit, dass wir uns auch um diesen Missbrauchsfall kümmern und nicht nur darum, ihn zu retten, um alles andere zu ignorieren. Und ich glaube, dass Rathbone den gleichen Wunsch hat, egal, um welchen Preis.«
    »Egal, um welchen Preis?«, fragte sie nach.
    Er zögerte. »Vielleicht nicht um jeden Preis, aber es stimmt trotzdem.«
    Zu Fuß begab sich Hester auf den Weg zu der Klinik, die sie selbst aufgebaut hatte, damit Prostituierte und andere auf der Straße lebende Frauen bei einer Erkrankung oder Verletzung behandelt werden konnten. Das Krankenhaus war in der Portpool Lane, ganz in der Nähe der Gray’s Inn Road gelegen. Es überlebte dank wohltätiger Spenden, und unter denjenigen, die um Gelder warben und sie erhielten, war Margaret Rathbone mit Abstand die hingebungsvollste und fähigste Sammlerin. Darüber hinaus verbrachte sie beträchtliche Zeit mit Arbeit in dieser Einrichtung, wo sie wusch, putzte und leichtere Pflegeaufgaben, für die Hester sie angelernt hatte, an den Patientinnen versah.
    Verständlicherweise leistete sie seit ihrer Hochzeit deutlich weniger Arbeit und gar keine mehr in der Nacht. Gleichwohl freute Hester sich nicht unbedingt darauf, Margaret heute zu begegnen, und hoffte, es wäre einer der Tage, an denen sie anderweitig beschäftigt war. Hester war sich bewusst, dass ihr Unbehagen auch an ihrer eigenen Mutlosigkeit lag. Sie fürchtete sich vor den unabwendbaren Gefühlen von Wut und Schmerz. Doch sie schob all das nur hinaus.
    Hester verließ die Paradise Place und lief den Hügel zur Fähre hinunter. Der Herbstwind war stürmisch und roch nach Salz. In Wapping angelangt, nahm sie einen Pferdeomnibus westwärts in Richtung Holborn. Es war ein weiter Weg zur Klinik, aber sie mussten notwendigerweise in der Nähe von Monks Arbeitsstätte leben. Nachdem er sich jahrelang als Privatermittler ohne Aussicht auf Sicherheit oder feste Bezahlung von einem Fall zum anderen gehangelt hatte, bekleidete er jetzt eine relativ neue Position. Seit noch nicht ganz einem Jahr war er Kommandant der Wasserpolizei in dieser Gegend und versah damit ein höchst verantwortungsvolles Amt. In

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