Eines Abends in Paris
dass du ein armer Schlucker bist?
Roberts Stimme klang so real, dass ich unwillkürlich aufblickte. Doch natürlich war da niemand, außer dem Kellner, der geschäftig mit einem Tablett an uns vorbeieilte, um die Gäste am Nachbartisch zu bedienen.
»Ach, du meine Güte! Badewannen und Waschbecken!«, rief Mélanie aus und schlug sich die Hand vor den Mund. »Also, egal, was Ihre Familie sagt, ich bin jedenfalls froh, dass Sie das jetzt nicht mehr machen. Es passt doch gar nicht zu Ihnen. Und man sollte sich immer treu bleiben. Oder haben Sie Ihre Entscheidung jemals bereut, Alain?«
»Nein, nie!«, entgegnete ich und lauschte einen Moment ihrer Stimme nach, die zum ersten Mal meinen Namen ausgesprochen hatte. Ich beugte mich vor und strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Es war genau die richtige Entscheidung.« Mein Herz fing an zu klopfen, und ich fiel kopfüber in ihre schimmernden Augen. »Vor allem, weil ich Sie sonst womöglich niemals kennengelernt hätte.«
Mélanie hatte den Blick gesenkt und dann plötzlich nach meiner Hand gegriffen, die noch über ihrem Ohr schwebte, und sie kurz an ihre Wange gezogen.
Ach, ich hätte es ewig so weiter spielen können, dieses Spiel der Hände, der Finger, die sich ineinander verschränken, umeinander schmiegen und nur diesen einen Moment kennen, der alle Zeit vergisst und alles Glück erahnen lässt.
Fangen nicht alle Liebesgeschichten damit an?
»Ich bin auch sehr froh, dass es das Cinéma Paradis gibt«, sagte Mélanie leise.
Ich hielt ihre Hand und ich spürte den Ring, den sie trug, und strich mit den Fingern über den rötlich glänzenden Goldreif.
»Am Anfang habe ich mich gar nicht getraut, Sie anzusprechen … Ich dachte, Sie wären verheiratet.«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, nein, ich bin nicht verheiratet und war es auch nie. Dieser Ring ist ein Andenken an meine Mutter. Ihr Verlobungsring. Maman trug sonst keinen Schmuck, wissen Sie, und als sie starb, nahm ich den Ring, um etwas von ihr immer bei mir zu haben. Ich hab ihn seitdem nicht einen Tag ausgezogen.« Sie drehte den Ring nachdenklich hin und her, dann sah sie mich an. »Ich lebe ganz allein.«
Die Ernsthaftigkeit, mit der sie es sagte, rührte mich.
»Oh … Das tut mir leid«, sagte ich und geriet ins Stottern. »Ich meine, das mit Ihrer Mutter.« Dass Mélanie allein lebte, sogar ganz allein, tat mir natürlich nicht leid. Im Gegenteil, ich war sehr froh darüber, auch wenn ich fand, dass dieses »ganz allein« doch etwas traurig geklungen hatte.
»Haben Sie denn gar niemanden hier in Paris?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Keine Familie? Keinen Bruder? Keine Schwester? Keinen Freund? Keinen Hund? Nicht mal einen Kanarienvogel?«
Immer wieder schüttelte sie den Kopf und musste schließlich lachen. »Sie sind ganz schön neugierig, Alain, wissen Sie das? Nein, nicht einmal einen Kanarienvogel, wenn Sie schon so fragen. Von meiner Familie lebt nur noch Tante Lucie, die ältere Schwester meiner Mutter, aber die wohnt in der Bretagne. Ich besuche sie hin und wieder. Zufälligerweise sogar an diesem Wochenende. Es ist sehr schön, dort am Meer. Und ansonsten …« Sie zögerte einen Moment, dann führte sie das Rotweinglas an ihre Lippen, trank einen kleinen Schluck und stellte es entschlossen ab. Sie wollte offenbar nicht darüber reden, aber es war nicht schwer zu erraten, dass sie gerade an einen Mann gedacht hatte.
»Ça y est. Die Dinge sind, wie sie sind«, fuhr sie fort. »Aber das ist schon ganz in Ordnung so. Ich habe gute Freunde, einen wunderbaren Chef, freundliche Nachbarn, und ich lebe sehr gern hier in Paris.«
»Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass so eine reizende Frau wie Sie keinen Freund hat«, bohrte ich nach. Ich gebe zu, dieser Satz war wenig originell, aber ich wollte Gewissheit haben. Vielleicht war dieser wunderbare Chef der Mann in ihrem Leben. Vielleicht gehörte sie zu den Frauen, die angeblich allein leben und in Wahrheit jahrelang mit einem verheirateten Mann eine Affäre haben, von der niemand etwas wissen darf.
Mélanie lächelte. »Und doch ist es so. Mein letzter Freund hat mich ein Jahr lang mit seiner Kollegin betrogen. Dann fand ich einen grünen Jadeohrring in seinem Bett, und wir haben uns getrennt.« Sie seufzte in komischer Verzweiflung. »Ich habe ein Talent dafür, mich in die falschen Männer zu verlieben. Am Ende gibt es immer eine andere Frau.«
»Nicht möglich«, sagte ich. »Das müssen alles Vollidioten sein.«
8
Wir
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