Eines Abends in Paris
kannte keine Müdigkeit. Die Straße war menschenleer und mein Herz voller Vorfreude auf alles, was noch kommen würde. Das Leben war schön und Fortuna hatte soeben ihr Füllhorn über mich ausgeschüttet.
Jeder, der schon einmal verliebt war, weiß, was ich meine. Ich war kurz davor, den Bürgersteig entlangzusteppen wie Gene Kelly es in dem Film Singin’ in the Rain macht. Leider bin ich alles andere als ein begnadeter Tänzer und so sang ich nur ein paar Zeilen der Titelmelodie vor mich hin und kickte eine Coladose vom Trottoir.
Ein Betrunkener schwankte mir aus der Rue Jacob entgegen, streckte die Hand aus, drehte sie dann um und sah mir verwundert nach. Es regnete natürlich nicht, aber ich hätte jeden Regenschauer begrüßt wie einen Goldregen. Mein Hochgefühl reichte bis zum Himmel. Ich fühlte mich unverwundbar. Ich war der Liebling der Götter.
Und war es nicht einfach unglaublich, dass die Liebe nach all den Jahrtausenden, in denen diese Welt sich um ihre eigene Achse drehte, immer noch das Wunderbarste ist, was zwei Menschen passieren kann? Und immer wieder ist es dieses Gefühl, das uns neu beginnen und Großes erwarten lässt.
Die Liebe – das ist das erste Grün des Frühlings, das ist ein Vogel, der ein kleines Lied zwitschert, ein Kieselstein, den man übermütig über das Wasser hüpfen lässt, ein blauer Himmel mit weißen Wolken, ein verschlungener Weg, der an einer duftenden Ginsterhecke vorbeiführt, ein warmer Wind, der über die Hügel streicht, eine Hand, die sich in eine andere schmiegt.
Die Liebe ist das Versprechen unseres Lebens. Am Anfang von allem stehen immer ein Mann und eine Frau.
Und in dieser Nacht hießen sie Mélanie und Alain.
Als ich die Tür zu meiner Wohnung aufschloss, hörte ich schon das aufgeregte Miauen. Ich trat ein und beugte mich hinunter zu Orphée, die sich freudig auf dem hellen Berberteppich in der Diele wälzte.
»Na, was macht denn meine kleine Tigerprinzessin?«, sagte ich und strich ihr ein paar Mal über das grau-weiß gestreifte Fell.
Ein zufriedenes Schnurren erfüllte den Flur.
Orphée war mir zugelaufen. Eines Morgens hatte sie jämmerlich miauend vor meiner Wohnungstür gesessen. Sie war noch ganz klein, sehr dünn, und ich hatte damals im ganzen Haus herumgefragt, ob jemandem eine Katze entlaufen war, und auf diese Weise endlich einmal alle meine Nachbarn kennengelernt. Aber keiner vermisste eine kleine Tigerkatze. Ich hielt sie in völliger Verkennung der biologischen Tatsachen zunächst für einen Kater und nannte sie Orphée. Dann kam Clarisse, die einmal in der Woche bei mir sauber machte, stemmte ihre Hände in die Hüften und schüttelte energisch den Kopf. »Mais non, Monsieur Bonnard! Was haben Sie gemacht? Das ist ein Mädchen – das sieht man doch sofort.«
Nun, wenn man genau hinschaute, sah man es wirklich. Ihren Namen hatte Orphée trotzdem behalten, und ich glaube, er gefiel ihr, auch wenn sie nie darauf hörte.
»Du wirst nicht glauben, was mir heute passiert ist, meine Kleine. Du würdest staunen.« Ich tätschelte ihr helles Bäuchlein, und Orphée rollte sich wohlig zur Seite. Egal, was mir passiert war, solange ich sie kraulte, war alles gut.
Nach unserem kleinen Begrüßungsritual ging ich in die Küche, um mir ein Glas Leitungswasser zu holen. Mit einem Mal hatte ich großen Durst. Orphée kam hinter mir her, sprang anmutig auf die Spüle und stieß mir ihren kleinen harten Schädel auffordernd gegen den Arm.
»Schon gut, schon gut«, seufzte ich und drehte den Hahn ein wenig auf. »Aber du könntest dir wirklich mal angewöhnen, dein Wasser aus dem Napf zu trinken. Das wäre nämlich normal, weißt du?«
Orphée hörte nicht auf mein Gerede. Wie alle Katzen hatte sie ihre eigene Vorstellung von dem, was »normal« war. Und offensichtlich war es sehr viel interessanter, das Wasser aus dem laufenden Hahn zu trinken als aus dem dafür vorgesehenen Katzennapf.
Ich sah ihr zu, wie sie ihre kleine rosa Zunge andächtig in den feinen Strahl schnellen ließ und das Wasser zufrieden aufschleckte.
»Ihre Katze heißt Orphée? « Mélanie hatte laut aufgelacht, als ich ihr erzählt hatte, dass die einzige Frau in meinem Leben derzeit eine kapriziöse Katzendame war, die versehentlich einen Männernamen trug. »Spielt sie denn auch die Leier?«
»Nun ja, nicht wirklich. Aber sie trinkt sehr gerne aus dem Wasserhahn.«
»Wie süß«, hatte Mélanie gesagt. »Die Katze meiner Freundin trinkt immer nur aus
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