Eines Abends in Paris
Blumenvasen.«
»Mélanie findet dich sehr süß«, sagte ich zu Orphée.
»Miau«, machte Orphée. Sie hielt einen Moment inne, dann schleckte sie weiter.
»Interessiert es dich gar nicht, wer Mélanie ist?« Ich warf meine Jacke über den Küchenstuhl, ging über das leise knarrende Parkett ins Wohnzimmer, knipste die Stehlampe an und ließ mich auf das Sofa fallen.
Sekunden später hörte ich ein leises Rumsen. Orphée war von der Spüle gesprungen und kam mit geschmeidigen Schritten auf das Sofa zu. Eine Sekunde später lag sie schnurrend auf meinem Bauch. Ich streckte mich aus, ließ meine Hände durch ihr seidiges Fell gleiten und starrte geistesabwesend auf den milchigweißen Stoffschirm der Stehlampe, durch den sanft das Licht fiel. Mélanies Gesicht schien direkt über mir zu schweben. Ihr Mund verzog sich zu einem Lächeln.
Ich starrte in die Lampe und dachte an die Küsse vor dem dunkelgrünen Eingangstor in der Rue de Bourgogne, die nicht enden wollten und doch endeten, als Mélanie sich schließlich aus meiner Umarmung löste.
»Ich muss jetzt hoch«, hatte sie leise gesagt und ich sah das Zögern in ihren Augen. Für einen Moment hoffte ich, dass sie mich fragen würde, ob ich mit ihr käme, doch sie entschied sich anders.
»Gute Nacht, Alain«, sagte sie und legte ihre Finger sanft an meinen Mund, bevor sie sich abwandte und den Code in das Schloss am Portal eingab. Das Tor schwang mit einem leisen Surren auf und gab den Blick auf einen Innenhof frei, in dessen Mitte eine alte Kastanie ihre Blätter ausbreitete.
»Ach, ich will dich gar nicht gehen lassen«, sagte ich und zog sie wieder in meine Arme. »Noch einen Kuss!«
Mélanie lächelte und schloss die Augen, als sich unsere Münder wieder fanden.
Nach diesem Kuss hatte es noch einen letzten Kuss gegeben und dann noch einen allerletzten, sehr heftigen Kuss unter der alten Kastanie.
»Wann sehen wir uns wieder?«, hatte ich gefragt. »Morgen?«
Mélanie überlegte. »Nächsten Mittwoch?«
»Was – erst nächsten Mittwoch?« Eine Woche erschien mir unvorstellbar lang.
»Vorher geht es leider nicht«, hatte sie gesagt. »Ich fahre morgen für eine Woche zu meiner Tante nach Le Pouldu. Aber wir gehen uns ja nicht verloren.«
Und dann hatte ich Mélanie endgültig ziehen lassen müssen mit dem Versprechen, dass wir uns am kommenden Mittwoch Punkt acht Uhr im Cinéma Paradis wiedersehen würden.
Sie hatte mir noch einmal zugewunken und war dann im Hauseingang an der Rückseite des Hofes verschwunden. Ich stand noch eine Weile verzaubert da und sah, wie das Licht hinter einem der Fenster in den oberen Stockwerken anging und kurze Zeit später erlosch.
Hier wohnt die Frau, die ich liebe, dachte ich. Und dann hatte auch ich mich auf den Weg gemacht.
10
Das Telefon klingelte, als ich am Morgen meinen Kaffee trank.
Ich war noch ziemlich zerschlagen von der Nacht auf dem Sofa, auf dem ich irgendwann in den frühen Morgenstunden glücklich eingenickt war. Ächzend stand ich vom Stuhl auf und suchte nach dem Hörer, der wie immer nicht auf seiner Station war. Schließlich fand ich ihn unter dem Zeitungsstapel neben meinem unberührten Bett.
Es war Robert, der wie jeden Morgen vor seiner ersten Vorlesung schon durch den Bois de Boulogne gejoggt war und jetzt offenbar eine Pause in seinem alten Büro an der Universität einlegte. Wie immer kam er ohne Umschweife zur Sache.
»Na, wie war’s? Ist die Supernova explodiert?«, rief er gut gelaunt und erschreckend wach in den Hörer, und ich zuckte zusammen. Seine Stimme war noch lauter als sonst.
»Meine Güte, Robert, musst du immer so in den Hörer schreien? Ich bin ja nicht taub!« Ich ging in die Küche zurück und setzte mich an den kleinen Tisch. »Ich habe nur zwei Stunden geschlafen, aber es war …« Worte wie »magisch«, »zauberhaft« und »romantisch« kamen mir in den Sinn – alles Worte, mit denen mein Freund nichts anfangen konnte. »Es war toll«, schloss ich. »Der Wahnsinn. Ich bin hin und weg. Das ist die Frau, auf die ich immer gewartet habe.«
Robert schnalzte erfreut mit der Zunge. »Na, also«, sagte er. »Wenn du erst mal Feuer gefangen hast, gehst du ran, was? Ich hoffe, ich störe nicht. Ist die Kleine noch bei dir?«
»Nein, natürlich nicht.«
»Was heißt hier ›natürlich nicht‹? Hast du etwa bei ihr übernachtet? Nicht schlecht.«
Ich musste lachen. »Keiner hat bei keinem übernachtet«, erklärte ich meinem verdutzten Freund. »Aber das macht
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