Eines Abends in Paris
Abend, durch den wir mit der traumwandlerischen Gewissheit geschritten waren, dass uns mehr verband als die moderne Technik, hatte so etwas Profanes wie ein Mobiltelefon überhaupt keine Rolle gespielt. Aber wie hätte ich das meinem Freund erklären sollen.
Robert konnte sich gar nicht mehr beruhigen. »Du begegnest der Frau deines Lebens und lässt dir nicht mal ihre Nummer geben?« Er lachte ungläubig. »Das ist echt ein dicker Hund. Alain, du lebst wirklich hinter dem Mond. Hallo?! Wir sind im dritten Jahrtausend – kriegst du eigentlich noch irgendetwas mit? Wollt ihr euch demnächst mit Brieftauben verständigen?«
»Meine Güte, dann frag ich sie halt beim nächsten Mal. Ich sehe sie ja am Mittwoch.«
»Und wenn nicht?«, bohrte Robert nach. »Was ist, wenn sie nicht kommt? Ich finde es komisch, dass sie gar nicht nach deiner Nummer gefragt hat. Oder dir wenigstens ihre Nummer gegeben hat. Meine Studentinnen wollen immer meine Mobilnummer.« Er lachte leise und ein wenig selbstgefällig. »Das hört sich nicht gerade nach einem gelungenen Abend an, wenn du mich fragst.«
»Ich frag dich aber nicht«, erklärte ich. »Was kümmern mich deine Studentinnen? Wir sind fest verabredet, und auch wenn es über deinen Horizont geht – es gibt noch Menschen, die sich eine Woche lang aufeinander freuen können und sich einfach an einmal getroffene Verabredungen halten, ohne noch zehnmal hin und her zu telefonieren und wieder alles umzuwerfen, weil etwas Besseres in Sicht ist.«
Ich merkte, wie ich große Lust bekam, Robert eine reinzuwürgen. »Nicht immer geht es um den schnellstmöglichen Vollzug, auch wenn du das mit deinen kleinen Studentinnen so hältst.«
»Alles eine Frage der Anziehungskraft«, erklärte Robert ungerührt. »Aber das kann ja jeder halten, wie er will. Ich wünsche dir jedenfalls viel Spaß beim Freuen. Hoffentlich freust du dich nicht umsonst.«
Der Sarkasmus in seiner Stimme war nicht zu überhören, und ich wurde allmählich wütend.
»Wieso machst du eigentlich so einen Stress?«, fragte ich. »Ich meine, was willst du mir beweisen? Dass ich ein Volltrottel bin? Geschenkt. Ja, dann hätte ich sie eben nach ihrer Nummer fragen sollen. Hab ich aber nicht. Was soll’s! Mélanie weiß ja schließlich, wo mein Kino steht. Und ich weiß, wo sie wohnt.«
»Sie heißt Mélanie?«
Ich nickte. Es war das erste Mal, dass ich Robert gegenüber ihren Namen erwähnt hatte. »Ja, ein lustiger Zufall, was?«
»Und weiter?«
Ich schwieg einigermaßen betroffen. Was hätte ich auch sagen sollen? Ich war ein Volltrottel. Erst jetzt fiel mir auf, dass ich Mélanies Nachnamen nicht kannte. Das war unverzeihlich. Ich versuchte, die diffuse Panik, die in mir aufzusteigen begann, abzuschütteln. Und was, wenn Robert recht behielte?
»Tja …«, sagte ich verlegen.
»Junge, Junge, dir ist echt nicht zu helfen!«, seufzte Robert.
Und dann hielt mein Freund mir einen kurzen Vortrag darüber, warum das Leben kein Kinofilm war, in dem sich die Menschen fanden und verloren, um sich dann zufällig eine Woche später am Trevi-Brunnen wieder zu begegnen, weil sie beide zum selben Zeitpunkt auf die Idee gekommen waren, eine Münze hineinzuwerfen und sich etwas zu wünschen.
»Ich weiß ja, wo sie wohnt«, wiederholte ich trotzig und sah mit einem Mal die vielen Namensschilder am Portal in der Rue de Bourgogne vor mir. »Wenn sie aus irgendeinem Grund am Mittwoch nicht erscheinen sollte, kann ich mich immer noch durchfragen. Aber sie wird kommen, ich bin mir sicher. Das sagt mir mein Gefühl. Von diesen Sachen verstehst du nichts, Robert.«
»So, so«, sagte er. »Nun ja, mag sein. Vielleicht läuft ja auch alles nach Plan.« Er lachte ein wenig skeptisch. »Und wenn es doch anders sein sollte, kannst du dich ja immer noch auf die Brücken von Paris stellen und warten, bis Mélanie eines Abends vorbeikommt. Sie liebt doch Brücken, oder?«
Mélanie hatte eine Nachricht im Cinéma Paradis für mich hinterlassen. Noch am selben Tag. Das war ein Triumph. Und auch ein wenig bedauerlich. Ein Triumph, weil es meinen Freund Lügen strafte. Bedauerlich, weil ich nicht selbst da gewesen war, um die Nachricht entgegenzunehmen. Denn dann hätte ich Mélanie vor ihrer Abreise noch einmal gesehen. Und dieses Mal hätte ich sie bestimmt nach ihrer Telefonnummer gefragt.
So aber war es François, der mir ein weißes Kuvert entgegenhielt, als ich um halb fünf das Kino betrat. Überrascht drehte ich den Umschlag in der
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