Eines Abends in Paris
auf die Nase zurück und wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als Solène sich in einen der Polstersessel fallen ließ und graziös ihre seidenbestrumpften Beine übereinanderschlug. »Es ist perfekt, einfach perfekt«, fuhr sie fort und lehnte ihren blonden Schopf gegen die Rückenlehne. Für einen Moment konnte ich nur noch ihre Haare sehen, die wie flüssiges Gold über den roten Samt fielen, und die Spitze ihres wohlgeformten Knies, das aufgeregt auf- und abwippte. »Und so wahnsinnig atmosphärisch. Allein der Geruch, der über diesem alten Kinosaal liegt, inspiriert mich … aaaah, herrlich, oder? Komm, setz dich neben mich, chéri !«
Allan Wood, der die ganze Zeit über neben mir stehen geblieben war, um auf eine bescheidenere Art und Weise die »Wahnsinnsatmosphäre« meines Kinos auf sich wirken zu lassen, lächelte mir entschuldigend zu, bevor er nach vorne ging und sich durch die Stuhlreihe schlängelte, in der Solène Platz genommen hatte. Ich blickte ihm verwundert nach, und in diesem unwirklichen Szenario kam mir mein eigenes Kino mit einem Mal ganz fremd vor.
Der schwere rote Samtvorhang, der bis auf den Boden reichte und jetzt die Leinwand verdeckte, dreiundzwanzig Stuhlreihen, die leicht aufsteigend bis an die Rückseite des Vorführsaals reichten, in dem das rechteckige Fenster eingelassen war, durch das der Filmvorführer die Leinwand und die Zuschauer sehen konnte. Die in Wurzelholz gerahmten Schwarz-Weiß-Porträts von Charlie Chaplin, Jean-Paul Belmondo, Michel Piccoli, Romy Schneider, Marilyn Monroe, Humphrey Bogart, Audrey Hepburn, Jean Seberg, Cathérine Deneuve, Fanny Ardant und Jeanne Moreau, die von den dunklen stoffbespannten Wänden lächelten, als seien sie im Glanz der Kugellampen zu neuem Leben erwacht.
Das Schönste aber war die Kuppel des Kinosaals, zu der ich selten genug hochblickte und die meine späten Gäste gerade bewunderten. Über dem Saal wölbte sich eine mit dunkelgrünen Ranken ausgemalte Kuppel, in deren Blättern sich Paradiesvögel und goldene Orangen versteckten.
»Verstehst du nun, warum ich diese Szenen nur hier spielen kann?« Solène Avril breitete die Arme aus und spreizte ihre Finger in einer dramatischen Geste. »Ich will wirklich nicht pathetisch sein, aber das hier … das hier ist doch etwas ganz anderes als so ein nachgestelltes Ding im Studio, n’est-ce pas, chéri? Hier kann ich authentisch sein, hier werde ich aus dem Herzen spielen, das spüre ich einfach.« Sie seufzte glücklich.
Allan Wood setzte sich neben sie, legte den Kopf zurück und breitete die Arme über die Sessellehnen rechts und links neben sich aus. Er schwieg einen Augenblick. »Yeah, it seems like the perfect place «, sagte er dann. »I really like it! « Er rollte den Kopf hin und her und starrte an die Decke. »Und es riecht …«, er wedelte ein wenig mit seiner kleinen weißen Hand in der Luft herum und in seinem drolligen Akzent mit dem stark gerollten »r« klang es wie es rrriekt, »… also wirklich ganz nostalgisch. Es riecht …«, er schnippte mit den Fingern, als ob er einen Geistesblitz gehabt hätte, »… nach Geschichte. «
Ich stand stumm an der Rückwand meines Kinos und war nicht mehr in der Lage zu beurteilen, ob Allan Wood recht hatte oder nicht. Ich war, ehrlich gesagt, nicht einmal in der Lage zu beurteilen, ob ich möglicherweise halluzinierte.
Es war kurz vor Mitternacht und ich wartete darauf, dass sich die beiden Köpfe in den Kinosesseln gleich in Luft auflösten und ich in meinem Bett aufwachen und kopfschüttelnd vor mich hinmurmeln würde, dass ich von einem bekannten amerikanischen Regisseur und einer der schönsten Frauen der Welt geträumt hatte, die in mein kleines Kino gekommen waren, um es zum Schauplatz eines Films zu machen. Ich meine, so funktioniert das doch in den Träumen, oder?
Ich schloss für einen Moment die Augen und atmete tief durch. Über dem Saal des Cinéma Paradis lag ein pudrig-schwerer Duft, der mit Solène Avril Einzug gehalten hatte und bei jeder ihrer Bewegungen zu mir herüberwehte. Wenn so Geschichte roch, dann roch sie jedenfalls sehr betörend.
»Ist das original – oder verwenden Sie so einen Spray, Alain?«
»Äh … wie bitte?« Ich riss die Augen wieder auf.
Allan Wood hatte sich zu mir umgedreht und seine dunklen Augenbrauen wanderten in die Höhe. »Na, Sie wissen schon. So einen Raumduft. Ich habe zu Hause so etwas, das riecht wie eine alte Bibliothek und es fuhlt sich also sehr gemutlich an«,
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