Eines Abends in Paris
winkte. Sekunden später hielt ein Wagen am Seitenstreifen an und blinkte.
Solène hauchte mir zum Abschied einen Kuss auf die Wange, während Allan die hintere Wagentür für sie aufmachte. Dann wandte er sich mir noch einmal zu.
»Also, Allän … Es war wirklich sehr nett mit Ihnen.« Er tastete umständlich seine Jackentaschen ab und überreichte mir – zum zweiten Mal an diesem Abend – seine Visitenkarte. »Wenn bei Ihnen etwas dazwischenkommt, rufen Sie mir einfach an. Ansonsten sehen wir uns am Sonntagabend im Ritz. Dann besprechen wir die ganze chose, okay?«
Er nahm meine Hand und schüttelte sie. Für einen Mann seiner Statur hatte er einen erstaunlich festen Händedruck.
»Denken Sie über meinen Vorschlag nach, mein Freund. Wenn Sie uns Ihr Kino zur Verfügung stellen, fließt richtig Geld in die Kasse.« Er zwinkerte mir zu wie Al Pacino höchstpersönlich. »Ich meine real money. «
Mit diesen Worten stieg er selbst ins Taxi. Die Wagentür fiel zu und der Wagen brauste davon und reihte sich ein in den endlosen Lichterstrom, der sich am linken Ufer der Seine entlangbewegte. Auf der gegenüberliegenden Seite des Flusses ragten die Gebäude des Louvre schwarz in den nachtblauen Himmel. Es war halb eins. Ich stand am Ufer der Seine, hellwach und völlig überwältigt von den Ereignissen der letzten drei Tage.
Ich hatte die Frau im roten Mantel geküsst, ich hatte einen Liebesbrief erhalten und ich hatte eine Verabredung im Ritz mit Solène Avril und Allan Wood, die Alain und Allän zu mir sagten.
Wenn das so weiterging mit meinem neuen aufregenden Leben, würde ich nicht mehr dazu kommen, mir irgendwelche Filme anzuschauen. Inzwischen war ich selbst Jean-Paul Belmondo, und Außer Atem war eine langweilige Geschichte verglichen mit meinen Erlebnissen. Ich stopfte Allan Woods zweite Visitenkarte in meine Jackentasche, in der noch immer Mélanies Brief steckte, und hatte mit einem Mal das Gefühl, mittendrin zu sein. Mittendrin im Leben. Es war ein berauschendes Gefühl.
»Wer sagt denn, dass das Leben keine Überraschungen mehr bereithält.« Robert drückte seine siebte Gauloise aus und versuchte trotz allem cool zu bleiben. Doch seine Miene sprach Bände. Selten hatte ich meinen Freund so beeindruckt gesehen wie an diesem Samstagnachmittag. Seit einer Stunde schon saßen wir unter der rot-weiß-blau-gestreifen Markise des Bonaparte, in das ich meinen Freund mit dem kryptischen Satz, es gäbe sensationelle Neuigkeiten, bestellt hatte.
»Oh, Mann, Alain, deswegen weckst du mich? Ich schlafe noch halb, was kann schon so sensationell sein in deinem Leben?«, hatte er unwillig gefragt. »Ich hatte eine sensationelle Nacht mit Melissa, das kannst du mir glauben.«
»Das glaub ich dir gern«, entgegnete ich und fragte mich, welche von seinen Studentinnen Melissa war. »Trotzdem ist das nichts gegen meine Neuigkeiten.«
»Lass mich raten – du hast ihre Mobilnummer. Sensationell. Glückwunsch.« Er gähnte herzhaft in den Hörer. »Kann ich jetzt wieder auflegen?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, nein, Robert, so einfach geht das nicht. Wenn ich sage sensationell, dann meine ich sensationell. Du errätst niemals, mit wem ich morgen Abend im Ritz zum Essen verabredet bin.«
»Mach’s nicht so spannend.«
Ich schwieg eisern.
»Angelina Jolie? Harharhar.« Er lachte über seinen eigenen Witz.
»Hey – du bist nicht schlecht«, sagte ich und das Lachen verstummte.
»Wie jetzt? Soll das ein Witz sein?«
»Kein Witz«, sagte ich. »Komm einfach.«
Ich gebe es nur ungern zu, weil es vielleicht ein schlechtes Licht auf mich wirft, aber nach all den Jahren als »Mensch der Peripherie« tat es einfach unheimlich gut, Robert einmal derart fassungslos zu sehen. Nachdem ich ihm alles erzählt hatte, sagte er eine ganze Weile nichts. Ich glaube, er war zum ersten Mal in seinem Leben sprachlos. Dies war, wie man sich denken kann, natürlich nicht der Tatsache geschuldet, dass die bezaubernde Mélanie mir einen vielversprechenden Brief geschrieben hatte und mich entgegen Roberts vernichtender Prognosen unbedingt wiedersehen wollte – so etwas war für meinen Freund ein nettes kleines Aperçu am Rande, welches er mit »Schön, schön – und weiter?« kommentierte. Aber die Sache mit Solène Avril – das war schon ein anderes Kaliber.
»Solène Avril? Ist ja krass!«, sagte er und zündete sich eine weitere Zigarette an. »Der Hammer! Erzähl mal – sieht die wirklich so granatenmäßig aus wie im
Weitere Kostenlose Bücher