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Eines Abends in Paris

Eines Abends in Paris

Titel: Eines Abends in Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Barreau
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überlegte. »Keine Ahnung. Oder nein, doch, warten Sie – ich musste mal ein Paket für Sie annehmen, da stand … da stand …«
    »Ja?«
    »Lucille oder Laurence oder Linda – irgendwas mit einem ›L‹ jedenfalls.« Tashi Nakamura wackelte entschlossen mit dem Zeigefinger.
    »Tja. Das habe ich schon befürchtet.« Ich hätte schwören können, dass es das zweite Stockwerk gewesen war, in dem vor einer guten Woche das Licht an- und dann wieder ausgegangen war. Ich hatte mich geirrt.
    Monsieur Nakamura nickte mir zu und machte Anstalten, wieder in seiner Wohnung zu verschwinden.
    »Ach, Monsieur Nakamura?«
    Er seufzte.
    »Kennen Sie vielleicht noch eine andere Mélanie hier im Rückgebäude?«
    Er sah mich an und kniff die Augen zusammen, so dass man kaum noch etwas von der dunklen Iris erkennen konnte. »Sagen Sie, Monsieur – was ist eigentlich los mit Ihnen? Muss es eine Mélanie sein? Sie scheinen mir etwas obsessiv.«
    Ich lächelte standhaft.
    »Nein«, sagte er schließlich. »Und wenn, dann wäre es mir egal. Ich interessiere mich nicht übermäßig für Frauen.« Mit diesen Worten knallte er die Tür zu und ließ mich draußen stehen.
    Bei Dupont im ersten Stock war niemand zu Hause, also klingelte ich an der zweiten Wohnungstür auf der Etage bei Montabon.
    Es dauerte eine Weile, bis die Tür vorsichtig aufgemacht wurde. Vor mir stand ein distinguierter alter Herr im hellgrauen Anzug. Ein lockiger weißer Haarkranz, der sich halbkreisförmig um seinen gebräunten, mit Altersflecken übersäten Schädel zog, ließ vermuten, dass er einmal sehr dichtes Haar gehabt haben musste. Trotz der abendlichen Stunde und der eher schummrigen Beleuchtung im Flur trug er eine dunkle Sonnenbrille. Er rückte sie mit einer sehnigen Hand voller Sommersprossen zurecht und schwieg. Offenbar schien er zu warten, dass ich als Erster sprach.
    »Monsieur Montabon?«, fragte ich vorsichtig.
    »Der bin ich«, sagte er. »Was wünschen Sie?«
    Ich wusste sofort, dass ich an der falschen Tür geklingelt hatte. Trotzdem stellte ich meine Frage.
    Monsieur Montabon war ein äußerst höflicher Mann, der mich bat, hereinzukommen, weil es nicht seine Art war, Gespräche an der Tür zu führen. Er lebte allein, hörte gern Musik von Ravel, Poulenc und Débussy und spielte Schach. Er war lange Zeit Botschafter in Argentinien und Chile gewesen und seit fünfzehn Jahren aus dem diplomatischen Dienst ausgeschieden. Er hatte eine Zugehfrau, die einmal am Tag kam und die Wohnung aufräumte, seine Wäsche machte, die Einkäufe erledigte und für ihn kochte.
    Sie hieß nicht Mélanie, sondern Margot.
    Ich bin mir sicher, wenn es im Bereich seiner Möglichkeiten gewesen wäre, hätte dieser freundliche Herr mir sicherlich geholfen. Doch Monsieur Montabon hatte keine Frau im roten Mantel gesehen. Jacob Montabon war nahezu blind.
    Inzwischen war es acht Uhr und meine Laune hatte sich merklich verschlechtert. All diese Gespräche waren anstrengend und wenig zielführend gewesen. Dies sollte sich ändern, als ich nun entmutigt die Treppe zum Erdgeschoss hinunterstieg und einer fülligen Person um die sechzig in die Arme lief, die in schwarzem Rock und lilafarbener Strickjacke im Hausflur stand, als hätte sie bereits auf mich gewartet. Bedachte man das Gewicht, das sie tragen mussten, waren ihre Füße erstaunlich zierlich. Sie steckten in winzigen, ausgetretenen, lilafarbenen Ballerinas. Die Dame in Lila grüßte freundlich, und auf diese Weise machte ich, ohne irgendwo läuten zu müssen, die Bekanntschaft von Madame Bonnet.
    Françine Bonnets Lieblingsfarbe war unzweifelhaft Lila. Als sie mit lebhaften Gesten ein Gespräch mit mir begann, bemerkte ich, dass sogar ihre Ohrringe, die tropfenförmig unter ihren kurzen silbergrauen Löckchen hervorbaumelten, aus lilafarbenen Glassteinchen bestanden.
    In einem früheren Leben war Madame Bonnet Concierge in einem der alten Stadthäuser an der Place des Vosges gewesen. Dann hatte ihr Mann Bauchspeicheldrüsenkrebs bekommen, war innerhalb weniger Monate gestorben und hatte ihr eine ansehnliche Rente hinterlassen. »Der arme Hugo – ging alles ganz schnell«, seufzte sie bedauernd.
    Seitdem arbeitete sie nicht mehr. Aber sie strickte bunte Schals für ein kleines Modegeschäft in der Rue Bonaparte (Seide mit Wolle – natürlich vorwiegend in Lilatönen), und diese Schals, jeder ein Unikat und mit einem ovalen Schild versehen, auf dem in Schreibschrift Les Foulards de Françine stand, fanden offenbar

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