Eines Abends in Paris
Rätsel, Maman? «
Madame Mirabelle strich ihrer Tochter über das Haar. »Schhh – das erkläre ich dir später.« Dann wandte sie sich mir wieder zu. »Ich fürchte, ich bin keine große Hilfe. Wir wohnen noch nicht so lange hier. Eine junge Frau im roten Mantel habe ich im Haus noch nie gesehen. Aber das muss nichts heißen. Vielleicht fragen Sie mal bei Madame Bonnet im Parterre – die bekommt sicher mehr mit als wir hier oben. Sie war früher mal Concierge.«
»Ja, danke«, erwiderte ich unglücklich.
»Es tut mir wirklich leid«, sagte Madame Mirabelle mitfühlend. »Wir bekommen gleich Besuch, sonst hätte ich Sie auf einen Kaffee eingeladen.«
Ich dankte ihr und wandte mich zum Gehen. Auf der gegenüberliegenden Seite des Hausflurs gab es noch eine weitere Tür.
»Da wohnt nur Monsieur Pennec mit seiner Frau«, sagte sie. »Ein griesgrämiger Werbetexter, der sich schon mal bei uns beschwert hat, als Marie ihren Kindergeburtstag feierte. Aber seine Frau suchen Sie gewiss nicht.« Sie zog eine lustige kleine Grimasse, bevor sie die Tür schloss. »Die beiden sind wirklich grässlich.«
Bei Leblanc in der zweiten Etage machte keiner auf. Ich hörte ein merkwürdiges Kratzen hinter der Tür, dann ein Miauen. Wieder drückte ich auf die Klingel, diesmal länger. Ich war mir mit einem Mal sicher, dass es das erleuchtete Fenster im zweiten Stock gewesen sein musste. Ich wartete einen Augenblick, dann klingelte ich ein letztes Mal.
Hinter mir wurde eine Tür aufgerissen. Ich drehte mich erstaunt um und sah geradewegs in die hasserfüllten Augen eines kleinen Japaners, der mich hinter seinen dicken Brillengläsern misstrauisch musterte.
»Wie oft wollen Sie denn noch schellen, Monsieur? Sie sehen doch, dass niemand zu Hause ist«, rief er.
Ich packte die Gelegenheit beim Schopf. »Ich suche eine junge Frau mit dunkelblondem Haar – sie heißt Mélanie – wissen Sie, ob die hier wohnt? Mélanie … Leblanc?« Ich wies auf die Tür, und aus irgendeinem Grund brachte es den kleinen Mann in Rage.
»Mademoiselle Leblanc ist nicht da«, keifte er. »Da können Sie schellen, so lange Sie wollen. Sie ist abends nie da, und wenn sie mitten in der Nacht zurückkommt, knallt sie jedes Mal die Tür, und ich werde wach.«
Die Katze miaute aufgeregt hinter der Wohnungstür, der kleine japanische Mann schimpfte wie ein Rohrspatz und ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. Wohnte hinter dieser Tür vielleicht Miss Holly Golightly?
»Das tut mir leid. Können Sie mir denn vielleicht sagen, ob Mademoiselle Leblanc mit Vornamen Mélanie heißt?«
»Keine Ahnung«, knurrte der Japaner. »Warum wollen Sie das wissen – wird sie gesucht?«
»Nur von mir«, versicherte ich ihm.
»Sind Sie ihr Freund?«
»Sozusagen.«
Er schnaufte ärgerlich. »Machen Sie sich keine Hoffnungen. Die hält’s mit keinem lange aus. Das ist so eine, die die Männer ins Verderben stürzt.«
»Aha«, sagte ich, nun doch einigermaßen betroffen. »Wer sagt das?«
»Das hat mir Monsieur Beauchamps erzählt, mein Vermieter.«
Ich trat näher und warf einen Blick auf das Namensschild.
»Sind Sie nicht Monsieur Beauchamps?«
Er sah mich an, als wäre ich verrückt. »Sehe ich so aus? Ich bin Tashi Nakamura.« Er streckte sich zu voller Größe, aber er reichte mir dennoch nur bis zur Brust. »Pierre Beauchamps war mein Kollege bei Global Electronics.«
»War?« Ich verstand immer weniger.
Er nickte. »Bis ihn diese kleine schwarzhaarige Hexe um den Verstand gebracht hat. Für meinen Geschmack hat sie eine viel zu große Nase, aber gut. Jedenfalls hat er sich für zwei Jahre nach Michigan versetzen lassen und mir die Wohnung untervermietet.« Er schüttelte den Kopf. »Nachdem sie Schluss mit ihm gemacht hatte, hat er es nicht mehr hier ausgehalten – so Tür an Tür.«
»Ach so«, sagte ich. Es tat mir leid für diesen Beauchamps, aber noch mehr tat es mir leid für mich. Mélanie hatte eine ganze normale Nase, und obwohl mir bekannt war, dass nach dem Dafürhalten der Asiaten alle Weißen eine große Nase haben – sie nennen uns Langnasen hinter unserem Rücken – und sowieso alles eine Frage der Relation ist – auch die Größe einer Nase, so hatte die Frau, die ich suchte, definitiv keine schwarzen Haare.
»Trägt sie manchmal einen roten Mantel?«, fragte ich trotzdem.
»Ich habe Mademoiselle Leblanc immer nur in Schwarz gesehen.«
Ich seufzte enttäuscht. »Dann heißt sie wohl auch nicht Mélanie, oder?«
Er
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