Eines Abends in Paris
erklären, dass wir nur einen Spaziergang gemacht haben, aber er war nicht zu beruhigen.«
Solène seufzte. »Er rast vor Eifersucht. Jedenfalls ist er losgezogen, um dich zu stellen. Ich weiß nicht, was er vorhat, Alain, aber du musst aufpassen, hörst du? Er könnte plötzlich vor deiner Tür stehen. Ich mache mir große Sorgen.«
Ich lächelte. »Du kannst aufhören, dir Sorgen zu machen, Solène «, sagte ich schicksalsergeben. »Er war bereits da.«
22
Die Jakobsmuscheln ließen auf sich warten. Wir saßen an einem langen Tisch auf der Terrasse des Georges. Der Tag war unerwartet warm gewesen, die Menschen trugen sommerliche Kleider und über dem Restaurant, das sich hoch oben auf dem Dach des Centre Pompidou befand und für seinen spektakulären Blick über Paris bekannt war, senkte sich ohne Eile ein indigoblauer Abendhimmel.
Ohne Eile schien auch das Motto der Bedienung. Seit einer halben Stunde versuchten wir vergeblich die Aufmerksamkeit der langbeinigen Kellnerinnen auf uns zu ziehen, die offenbar eher für eine Modelkarriere ausgebildet waren denn für den Service. Mit wehendem Haar und gleichmütig-schönen Gesichtern staksten sie an uns vorbei und schenkten uns keine Beachtung.
Solène lächelte mir zu und hob ihr Champagnerglas. Sie hatte Geburtstag und war fest entschlossen, sich durch nichts ihre gute Laune verderben zu lassen. Ich versuchte es ihr gleichzutun.
In den vergangenen sonnigen Maitagen hatte die Normalität wieder Einzug gehalten. Im Cinéma Paradis, von dessen Eingangstür François am letzten Montag das Schild »Wegen Dreharbeiten geschlossen« abgehängt hatte, und in meinem Leben. Bis auf die Tatsache, dass der riesige Kronleuchter im Vorführsaal hängen geblieben war und das alte Kino sich immer noch im Glanz der berühmten Namen sonnte, erinnerte nichts mehr an die turbulente Woche, in der die Filmcrew alles auf den Kopf gestellt hatte. Die Wohnwagen in der Straße waren verschwunden und auch die Dreharbeiten zu Zärtliche Gedanken an Paris näherten sich allmählich ihrem Ende. Mehr als vier Wochen würde es nicht mehr dauern, bis die letzten Szenen, die noch in Paris gefilmt werden sollten, im Kasten waren.
Allan Wood strahlte über das ganze Gesicht. Er saß mir schräg gegenüber und hatte den Arm um eine rothaarige junge Frau mit riesigen Goldohrringen gelegt, die in filigranen Scheiben kaskadengleich an ihrem schlanken Hals herunterfielen. Es war Méla, seine Tochter, die gerade dabei war, die netten Seiten des von der Mutter so verteufelten Vaters zu entdecken.
Seit jenem für mich so schwarzen Tag im verregneten Marais hatte ich Allan Woods Tochter nicht mehr gesehen. Und so sehr ich ihm sein Glück auch gönnte, so schwer wurde mir doch das Herz, wenn ich an diesen einen wunderbaren Moment dachte, als wir mit unseren Blumensträußen vor Mélas Tür standen und ich geglaubt hatte, ich hätte Mélanie gefunden.
Auch Carl Sussman sah ich an diesem Abend zum ersten Mal seit den Dreharbeiten wieder. Er hatte mit zufriedener Miene neben Solène Platz genommen und mir zugezwinkert – so weit das möglich war. Das linke Auge des bärtigen Kameramanns leuchtete wie meines in den schönsten Blautönen. Wir grinsten uns vielsagend zu. Ted Parker hatte ganze Arbeit geleistet.
Der Texaner mit den Cowboymanieren fehlte übrigens an diesem ausgelassenen Abend auf der Dachterrasse des Georges, wo sich die halbe Filmcrew versammelt hatte, um auf das Wohl von Solène Avril anzustoßen. Die erzürnte Schauspielerin hatte ihren eifersüchtigen Freund in die texanische Wüste geschickt, bevor er noch mehr Unheil anrichten konnte. Zur großen Freude von Carl, der nun nicht mehr von ihrer Seite wich.
Und auch der schöne Howard Galloway, der in einem eleganten armanigrauen Anzug weiter unten am Tisch saß, musste sehr erleichtert gewesen sein, als er hörte, dass der kampflustige Amerikaner, der offenbar auch in der Hemingway-Bar aufgetaucht war und ihn mit den Worten »Tragen wir es aus wie Männer« zu einem Schlagabtausch draußen vor der Tür aufgefordert hatte, nun an das andere Ende des Atlantischen Ozeans verbannt war.
»Mit Ted ist es aus. Çela suffit «, hatte Solène mir gesagt, als sie mich zu ihrer kleinen Geburtstagsfeier einlud. »Man muss wissen, wann es vorbei ist.«
Trotz der immer noch fehlenden Vorspeisen herrschte ausgelassene Stimmung an unserem Tisch. Ich prostete Solène zu, die mir mit vom Champagner geröteten Wangen gegenübersaß. Sie war so schön an
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