Eines Abends in Paris
diesem Abend in ihrem meerblauen Seidenkleid, das die Farbe ihrer Augen zu spiegeln schien. Sie saß da wie eine gutgelaunte Scheherazade, erzählte eine Geschichte nach der anderen und ließ es sogar zu, dass Carl ab und zu ihre Hand drückte. Sie hatte Geburtstag und freute sich wie ein kleines Mädchen. Ihre Hochstimmung riss uns alle mit. Selbst mich, den Wehmütigsten von allen.
Ich lehnte mich in meinem Stuhl zurück und ließ den Blick über die stimmungsvoll beleuchtete Dachterrasse schweifen. Drei riesige gebogene weiße Röhren, die weiter hinten aus dem Boden aufragten, verwandelten das Restaurant in das Deck eines Ozeandampfers, der durch das nächtliche Paris glitt wie durch ein unendliches funkelndes Meer. Man vergaß es bisweilen, so wie man ein schönes Bild vergisst, das im Wohnzimmer über dem Esstisch hängt. Doch wer einmal in einer Frühlingsnacht hier oben gesessen hat, weiß wieder, warum man Paris die Stadt der Lichter nennt.
Zu meiner Linken erhob sich die angestrahlte Notre-Dame, in der Ferne sah ich den Eiffelturm glitzern. Ich sah die Lichter auf den großen Boulevards, auf denen unaufhörlich und so klein wie Kinderspielzeuge die Autos entlangrollten. Ich sah die Brücken, die sich wie goldene Bögen über die Seine spannten. Ich sah die lachenden Gesichter um mich herum und wünschte mir meine Unbeschwertheit zurück. Jene Leichtigkeit, die ich verspürt hatte, als ich nachts durch Paris lief und mir einbildete, der glücklichste Mensch des Universums zu sein.
Ich dachte noch einmal an den kleinen zerknitterten Brief, der jetzt ganz oben in meiner Schreibtischschublade lag. Wie oft hatte ich ihn in den letzten Wochen entfaltet und zärtlich glattgestrichen.
Mélanie war keine Abenteurerin. Das hatte sie mir geschrieben. Doch wo immer sie jetzt auch war und was immer sie tat, sie hatte mir die abenteuerlichsten Wochen meines Lebens beschert.
»Uns bleibt immer noch Paris«, hatte Humphrey Bogart in Casablanca zu Ingrid Bergman gesagt. Und mir blieb immer noch ein beglückender Abend, der unter einer alten Kastanie sein Ende gefunden hatte.
Das Mädchen im roten Mantel würde die süße Wunde in meiner Biographie bleiben. Das Versprechen, das nicht eingelöst worden war. Das Geheimnis, das für immer ein Geheimnis sein würde. Und doch bereute ich nichts.
Irgendwann würde es weniger weh tun. Irgendwann würde auch mein Herz wieder leichter werden. Ich musste es nur zulassen.
Ich trank meinen Champagner aus. Solène hatte Recht. Man muss wissen, wann es vorbei ist. Am nächsten Wochenende hatte Robert ein Abendessen für mich arrangiert, zu dem auch Melissa und ihre Freundin kommen würden. Die Freundin, die genau mein Typ sein sollte. Man würde sehen.
Liz, die neben mir saß, verwickelte mich in ein Gespräch, und ich ließ mich darauf ein. Nach einer Weile stellte ich erstaunt fest, dass eine halbe Stunde vergangen war, ohne dass ich meinen traurigen Gedanken nachhing.
Und als die Teller mit den Coquilles Saint-Jacques endlich von einem Claudia-Schiffer-Verschnitt auf den Tisch geknallt wurden, regte ich mich genau wie alle anderen über die Unfreundlichkeit der Bedienung auf und musste genau wie alle anderen lachen, als Allan beim Hauptgang in komischer Verzweiflung erklärte, sein Lamm schmecke irgendwie nach Asche – in der Tat war die Unterseite schwarz und verbrannt –, und Carl so heftig an seinem Fleisch herumsäbelte, dass der ganze Tisch in Schwingung geriet. »Wie soll man ein Steak mit einem so stumpfen Messer schneiden«, beschwerte er sich. »Da ess ich doch besser mit den Fingern.«
Solène winkte der blonden Kellnerin, die nach einer Weile unwillig auf ihren hohen Schuhen herbeistöckelte.
»C’était? «, fragte sie, ohne eine Antwort abzuwarten, und fing an, unsere Teller abzuräumen.
Solène schüttelte den Kopf. Mit ein paar kurzen Sätzen wies sie das Mädchen zurecht, zeigte auf Allans Asche-Lamm und orderte ein Steakmesser für Carl.
Das blonde Möchtegern-Model mit den korallenroten Lippen nahm mit einem genervten Seufzer den Teller mit dem halb verbrannten Lamm an sich und warf dann einen gelangweilten Blick auf das Steak. »Aber ich bitte Sie, Monsieur, das Fleisch ist doch butterweich, da braucht man kein Steakmesser«, erklärte sie frech und entfernte sich von unserem Tisch.
»He, Moment mal«, rief Carl ihr empört hinterher. »Wissen Sie überhaupt, wen Sie hier vor sich haben? Und das Steak ist nicht butterweich, das können Sie gleich
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