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Einfach Freunde

Einfach Freunde

Titel: Einfach Freunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abdel Sellou
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an und gähnen während der kurzen Ansprache des Verteidigers (sie als Plädoyer zu bezeichnen wäre eine Beleidigung für die Rechtsanwälte, die ich aufrichtig bewundere und re­spektiere). Dann verkündet der Vorsitzende das Urteil und lässt seinen Hammer niedersausen.
    Â»Zum nächsten Fall!«
    Offenbar will er’s so schnell wie möglich hinter sich bringen. Wenn ich ihn so betrachte, frage ich mich, ob es das wirklich wert ist: Da studiert man jahrelang, um schließlich in diesem staubigen Saal zu landen, auf einem unbequemen Stuhl, und sich Wüstensöhne im Vorruhestand vorzuknöpfen, weil sie eine Brieftasche stibitzt haben. Und was muss man sich überhaupt für ein Studium antun, um so weit zu kommen? Die höheren Söhne aus dem XVI . Arrondissement reden alle davon, dass sie an der Assas-Uni »das Studium des Rechts aufnehmen« wollen. Aber was für ein Recht? Ich allein entscheide, was mein gutes Recht ist. Ich bin achtzehn Jahre und ein paar Wochen alt, ich protze mit meinen Lacoste-Klamotten und wenn ich als ungebetener Gast auf Partys aufkreuze, gabel ich im Handumdrehen ein Mädchen auf, ich schnappe mir den Volvo ihres Papas, brause in die Normandie, um Meeresfrüchte zu essen, lasse das Auto am Straßenrand stehen, wenn der Tank leer ist, und fahre per Anhalter nach Paris zurück. Ich habe noch nicht dazugelernt.
    Von zwei Polizisten begleitet verlässt ein Mann den Saal, er heult Rotz und Wasser. Noch auf der Türschwelle winselt er um Gnade.
    Â»Ich tu’s nie wieder, Herr Richter, ich schwör’s, niemals!«
    Der Herr Richter hört ihn nicht mehr, der Herr Richter widmet sich bereits einem anderen Fall. Es ist der Erleuchtete, den man beschuldigt, den Fahrkartenschalter einer Metrostation beschädigt zu haben. Er hat eine Mülltonne gegen die Scheibe geworfen.
    Der Verteidiger schaltet sich sofort ein.
    Â»Herr Vorsitzender, bedenken Sie bitte eins: Mein Mandant hat diesem unglücklichen Impuls nachgegeben, als gerade kein Mitarbeiter des Pariser Personennahverkehrs hinter der Scheibe saß. Er wusste also, dass niemand zu Schaden kommen würde.«
    Â»Gewiss, verehrter Herr …«
    Wie war der Name doch gleich? Offenbar hat der Richter vergessen, wie der Anwalt heißt. Er wendet sich direkt an den Beschuldigten.
    Â»Von den letzten sechs Jahren haben Sie mehr als fünf in Haft verbracht, und zwar stets wegen ähnlicher Delikte. Können Sie mir erklären, warum Sie immer wieder damit anfangen?«
    Â»Nun ja, Herr Richter, ich bin mutterseelenallein auf der Welt. Und das Leben draußen ist hart …«
    Â»Verstehe … Dann können Sie sich gern wieder im Gefängnis aufpäppeln lassen … Sechs Monate ohne Bewährung.«
    Fehlt nur noch, dass er den Angeklagten fragt, ob es ihm so recht sei. Der Erleuchtete strahlt nicht mehr, er lodert vor Freude.
    Der Alte mit der Brieftasche wird freigesprochen. Ich werde zu achtzehn Monaten Haft verurteilt, davon acht auf Bewährung. Die Haft muss sofort angetreten werden. Das Urteil wurde innerhalb von Minuten gefällt. Ich habe mich in allen Anklagepunkten schuldig bekannt, ohne groß zu überlegen, die Richter haben nicht nachgehakt, das hätte auch keine neuen Erkenntnisse gebracht.
    Zehn Monate Gefängnis also, nicht mal ein Jahr. Das Urteil bringt mich nicht aus der Ruhe. Fast bin ich erleichtert, wie der Obdachlose, der auf freie Unterkunft und Verpflegung aus ist. Tatsächlich träume ich von einem Bett. Ich möchte mich gern eine Weile rar machen. Zwar wartet in Beaugrenelle immer ein Bett auf mich, mit sauberen Laken, die nach Lavendel oder Rosen duften, aber ich habe mich seit Monaten praktisch nicht mehr bei meinen Eltern blicken lassen. Auch wenn ich ihnen meinen Respekt nicht zeige, auch wenn ich mich allem Anschein nach nicht um ihre Meinung schere, bin ich nicht so unverschämt, nach einer durchzechten Nacht im Morgengrauen bei ihnen aufzutauchen, blau und grün von den Schlägen, die ich eingesteckt und ausgeteilt habe. Wenn mein Tag zu Ende geht, beginnt der meines Vaters. Er kippt seinen Kaffee am Küchentisch und sieht freudlos den langen Arbeitsstunden entgegen, die ihm bevorstehen. Er ist alt, und er ist müde. Ich habe schon vor langer Zeit eingesehen, wie unanständig es wäre, zwischen Aminas frisch gebügelte Laken zu schlüpfen.
    Ich kann nicht mehr. Ich habe zu

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