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Einfach Freunde

Einfach Freunde

Titel: Einfach Freunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abdel Sellou
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oft in den Vorortzügen geschlafen. Ich bin am Ende. Ich möchte eine Wolldecke, warme Mahlzeiten, ich möchte mir am Sonntagabend die »Looney Tunes« im Fernsehen anschauen. Und los geht’s. Ab nach Fleury.

15
    Willkommen im Erholungsheim.
    Der Tag beginnt ganz entspannt mit den Kurznachrichten. Um acht verkündet ein Radiomoderator knatternd wie eine Maschinenpistole, dass im Département Doubs ein Zug entgleist ist, vier Menschen erlitten leichte Verletzungen, die unter Schock stehenden Passagiere wurden von der Feuerwehr evakuiert. Ein Hoch auf die Grande Nation: In der Formel 1 hat Alain Prost den Großen Preis der USA gewonnen. Die Wettervorhersage fürs Wochenende: sonnig, im Nordosten leicht bewölkt, später vereinzelt Gewitter, die Temperaturen typisch für diese Jahreszeit. So langsam werde ich wach, auf die Nachrichten folgt ein schlimmes Lied von Jean-Jacques Goldman, aber es besteht Aussicht auf Besserung: Im Lauf des Tages werden sie bestimmt drei- oder viermal Lambada spielen, anscheinend ist das der große Sommerhit. Das will man uns jedenfalls mit allen Mitteln weismachen …
    Die Riegel schnappen auf. Ich strecke und dehne mich, massiere mir den Nacken, gähne ausgiebig. Bald wird der Kaffee serviert, im Flur rollt der Wagen immer näher. Ich strecke meinen Becher aus, greife mir das Tablett, lege mich wieder hin. Auf Chérie FM läuft gerade Werbung. Eine Horde junger Mädels bricht in Begeisterung aus, weil irgendwelche Schuhe für schlappe 199 Francs zu haben sind. Sie trällern, dass »man schon irre sein müsste, um mehr auszugeben«. Und wenn ich ihnen stecken würde, dass ich einen Haufen Tricks kenne, um gar nichts auszugeben? Ich tunke mein Brot in den Kaffee, die Margarine löst sich auf und bildet winzige gelbe Pünktchen an der Oberfläche … Frühstück im Bett, was will das Volk mehr? Ein bisschen Ruhe vielleicht. Ich drehe die Lautstärke so weit runter wie möglich, aber das Radio wird bis zum Zapfenstreich weiterdudeln. Ausschalten geht nicht. Liane Foly, Rock Voisine und Johnny Hallyday: Das ist die schlimmste Tortur, der man als Häftling in Fleury-Mérogis ausgesetzt ist. Fast so schlimm wie die Wassertropfenfolter. Man könnte schier wahnsinnig werden, hätte man nicht die Möglichkeit, Mylène Farmers asthmatisches Gejaule mit beruhigendem TV -Schnurren zu übertönen. Ich bin schließlich ein reicher Mann. Bei meiner Ankunft gut 12   000 Francs schwer, und hier muss man nur 60 im Monat springen lassen, um einen Fernseher zu mieten! Das leiste ich mir, logisch. Wir empfangen hier alle sechs Sender, inklusive Canal+. Gerade läuft Teleshopping.
    Der Moderator Pierre Bellemare will, dass ich ihn anrufe. Er würde mir gern ein Waffeleisen verkaufen. Ich seh mich in meiner Zelle um, ein kurzer Blick genügt, nicht nötig, extra aufzustehen. Tut mir leid, lieber Pierrot, aber mein Schrank ist voll, da passt kein Puderzucker mehr rein. Der Schrank ist voller Zigarettenschachteln (für bedürftige Neulinge, ich selbst rauche nicht) und Kekse der Marke Pepito (für meine Teepause). Wenn ich was kaufen will, geb ich einfach meine Häftlingsnummer an, die gleichzeitig meine Kontonummer ist. 186   247 T. Der Betrag wird direkt abgebucht, Umsatzsteuer und Sozialversicherungsbeiträge fallen nicht an. So versüße ich mir den Alltag, nachdem mein Start hier schon mal gar nicht so übel war. Am Tag meiner Ankunft wurde ich von Ahmed begrüßt, einem Kumpel aus Beaugrenelle. Weil er kurz vor seiner Entlassung stand, hat er mir das Nötigste vererbt: den Schwamm und das Waschpulver, den rechteckigen Rasierspiegel mit rosa Plastikrand, die hautschonende Seife, den CD -Player, natürlich mit Kopfhörern, die Thermosflasche, um das Wasser kalt oder den Kaffee warm zu halten.
    Mein bislang unbegrenzter Lebensraum ist auf wenige Quadratmeter zusammengeschrumpft. Ich kann trotzdem atmen. Am späten Vormittag schlägt mir ein Wärter vor, ein bisschen frische Luft zu schnappen. Das ist kein Muss, ich kann auch weiter Teleshopping machen und über die Schnäppchen-Welt des alten Schnauzbartträgers staunen. Aber ich geh gern raus. Im Hof lassen sich oft Geschäfte abwickeln. Die Frischlinge brauchen ihre Gitanes, vielleicht sind sie im Polizeigewahrsam auf einen mitfühlenden Bullen gestoßen, der ihnen die eine oder andere Zigarette zugesteckt

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