Einfach Freunde
Pflichtverteidiger zur Seite gestellt.«
»Ja.«
Zu den beiden Polizeibeamten, die neben der Tür warteten, sagte der Staatsanwalt:
»Danke, meine Herren, Sie können ihn jetzt in die Verwahrungshalle führen.«
Die Verwahrungshalle ist im Keller des Gebäudes. Dort brennt das Licht Tag und Nacht, die Uhren werden beschlagnahmt. Ich wurde in eine Zelle geschoben und verlor bald jedes Zeitgefühl. Die Zeit kam mir weder lang noch kurz vor, ich spürte weder Ungeduld noch Angst. Der französische Staat hatte mir freundlicherweise ein Stück Brot, ein Eckchen Camembert, eine Orange, Kekse und eine Flasche Wasser spendiert. Diese Diät konnte ich locker verkraften. Ich dachte: Es wird immer etwas zu trinken und zu essen geben, egal, was passiert . Ich dachte: Den Lauf der Dinge kann ich sowieso nicht mehr ändern . Ich döste auf meiner Pritsche, die oberste im Dreier-Stockbett, dicht an der Decke. Es war komisch, aber ich vermisste nichts.
Ich höre ungewohnte Geräusche. Andere Typen, die weinen, schreien, mit den Fäusten gegen die Zellentür hämmern: Junkies auf Entzug. Das reinste Irrenhaus. Dagegen ist der Film, der direkt unter mir abläuft, viel lustiger.
Zwei Araber, klein und dürr der eine, groà und dick der andere. Der erste läuft pausenlos in der winzigen Zelle auf und ab und vertraut sich dem zweiten an, der bewegungslos auf der untersten Pritsche sitzt. Dick und Doof im Gefängnis.
»Ich bin fertig! Erledigt! Die kommen nicht klar ohne mich, meine Alte, meine Söhne, haben nie gearbeitet. Wenn ich jetzt in den Knast komm, verhungern die!«
Der Dicke grinst, aber er ist ein netter Kerl und bemüht sich, den anderen zu beruhigen.
»Aber nein ⦠Wenn deine Alte keine Wahl hat, wird sie arbeiten! Deine Gören auch! Und wenn du nach Hause kommst, haste mehr aufm Konto als vorher, wirst schon sehen.«
»Glaub ich nicht. Nie und nimmer.«
»Warum biste überhaupt hier?«
»Weil ich âne Brieftasche geklaut hab â¦Â«
Jetzt muss ich wirklich lachen. Im Vergleich zu diesem Männchen, das locker mein Vater sein könnte, hab ich es mit gerade mal achtzehn Jahren schon zum Schwerverbrecher gebracht. Ich sage nichts, weil ich mir keine Feinde machen will, selbst unter den Schwächsten, aber ich finde es erbärmlich, dass ein erwachsener, fast schon alter Mann sich für eine Brieftasche hopsnehmen lässt. Und sich dann vor Angst in die Hosen macht! Schlimm genug, dass er wegen dieser Lappalie einsitzt, er nimmt das Ganze auch noch ernst. Ich glaube nicht, dass die französische Justiz einen einzigen Franc ihres ohnehin mageren Budgets ausgibt, um so einen Versager zur Strecke zu bringen. Eine Gefahr für das Land stellt er nicht dar, das liegt auf der Hand, und schon der Gedanke ans Gefängnis dürfte ihn von weiteren Straftaten abhalten.
Bald werden wir wissen, was uns blüht: Die Tür geht auf, man holt uns, um uns dem Strafrichter vorzuführen. Wir drei sind nicht die Einzigen, im Flur stoÃen wir auf ein Dutzend weitere Beschuldigte. Gemeinsam steigen wir die Treppen zum Gerichtssaal hoch.
Ich bin noch nie in meinem Leben im Theater gewesen, als Kind habe ich aber öfters Stücke im Fernsehen gesehen. Daran muss ich jetzt denken, und ich bin bereit, aus dem Stegreif zu spielen. Die Inszenierung wirkt solide, die Rollen sind ideal besetzt. Einer versucht, die Richter mit Tränen zu erweichen. Ein anderer gibt den reuigen Sünder, wie im Beichtstuhl, zumindest stell ich mir das so vor. Ein Dritter krümmt sich vor Schmerz, oder tut so als ob, obwohl kein Mensch auf ihn achtet. Einer macht auf Snob und pfeift mit gespitztem Mund leise durch die Zähne. Und dann ist da der Erleuchtete, möglicherweise ein echter Schwachkopf, der sich mächtig freut, hier zu sein! Und es gibt mich: Mit den Händen in den Taschen fläze ich mich auf die Bank und warte, bis ich an die Reihe komme, gebe vor zu schlafen, während die ersten Szenen ablaufen. Mit halbgeschlossenen Augen beobachte ich das Geschehen, lasse es genüsslich auf mich wirken. Ich finde neue Arten der menschlichen Gattung, ziehe allerdings immer noch denselben Schluss: Es gibt viele Beherrschte, wenig Herrschende, und die Richter zählen nicht unbedingt zur letzten Kategorie. Sie schwitzen in ihren schwarzen Roben, sie stöhnen bei jedem neuen Fall, sie sehen jeden neuen Beschuldigten nur flüchtig
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