Einfach Freunde
ihnen Bescheid. Dann wissen sie, dass du wenigstens heute Nacht in Sicherheit bist.«
Ich lasse mir vom Zellenservice ein Sandwich an die neue Adresse liefern. Ich stecke einem Bullen, der mich scheel ansieht â böse Jungs machen ihm Angst â, einen Zwanni zu, und er besorgt mir an der nächsten StraÃenecke, was ich will. Weil mir seine Visage nicht passt, scheià ich ihn trotzdem zusammen, aber richtig.
»Hey, Blödkopf, ich hatte doch Ketchup-Senf bestellt, keine Mayonnaise! Geht das nicht in deine Birne? Kein Wunder, dass die Polizei den Bach runtergeht.«
In einer Zellenecke schläft ein Penner seinen Rausch aus, in der anderen flennt ein Greis. Aus dem Büro nebenan ruft eine Stimme:
»Schnauze, Sellou!«
»Na hören Sie mal, Herr Inspektor, Ihr Milchmädchen rückt das Wechselgeld nicht raus.«
Worauf die Stimme genervt erwidert:
»Komm schon, Kollege, gib ihm seine Kohle â¦Â«
Der andere stammelt, er hätte sie gar nicht behalten wollen. Ich feixe.
Weil ich immer im selben Viertel tätig bin, gerate ich immer wieder an dieselben Polizisten. Inzwischen kennen wir uns so gut, dass wir fast ein freundschaftliches Verhältnis haben. Manchmal warnen sie mich vor.
»Nimm dich in Acht, Sellou, die Zeit rast ⦠Nach deinem nächsten Geburtstag können wir dich richtig einbuchten, klar?«
Darüber lache ich nur. Nicht, dass ich ihnen nicht glaube: Sie werden schon recht haben. Aber erstens fürchte ich mich vor nichts, das ich nicht kenne, und zweitens scheint mir Gefängnis kein groÃes Drama zu sein. AuÃerdem kommt man schnell wieder raus. Ich sehâs doch bei den Mendys, diesen Senegalesen-Gangs, die sich an Mädchen vergehen. Sie werden regelmäÃig wegen Gruppenvergewaltigung hochgenommen, fangen sich dafür höchstens sechs Monate Knast ein, werden mit ein paar Kilo mehr auf den Rippen und neuem Haarschnitt entlassen, fangen gleich wieder an zu dealen und schnappen sich ein neues Mädchen. Nur ein einziges Mal wurden einem von ihnen drei Jahre aufgebrummt, aber bloÃ, weil er der Kleinen eine Eisenstange ins Auge gerammt hatte. Das ist übel, keine Frage, und trotzdem werden wir ihn bald wieder in unserer Mitte begrüÃen dürfen. Also schreckt mich das Gefängnis kein bisschen. Wennâs dort wirklich so schlimm wäre, würden sich die Häftlinge nach ihrer Entlassung doch gleich eine ehrliche Arbeit suchen, um nie wieder eingelocht zu werden. Ich kann mir mein Sandwich in aller Ruhe schmecken lassen, kein Grund zur Panik. Morgen werde ich aus dem Gewahrsam entlassen, es ist bald Frühling, die Frauen werden in ihre leichten Kleidchen schlüpfen, ich werde wieder baggern gehen, mit den Kumpels einen draufmachen, im Zug von Orsay nach Pontoise, Pontoise nach Versailles, Versailles nach Dourdan-la-Forêt ein unruhiges Nickerchen einlegen. Auf meinem Bankkonto hat sich ein hübsches Polster angesammelt. Fast 12  000 Francs. Ich habe eine sichere Bleibe in Marseille, eine andere in Lyon und eine dritte in der Nähe von La Rochelle. Ich werde mir einen schönen Urlaub gönnen. Mal sehen, was danach kommt. Darüber mach ich mir keinen Kopf.
13
Meinen Achtzehnten habe ich nicht richtig gefeiert. Ich hatte ihn vergessen, war wohl anderweitig beschäftigt. Doch die Bullen hatten sich das Datum offenbar dick im Kalender angestrichen, denn sie haben mich kurz darauf geschnappt. Aus heiterem Himmel, als ich es am wenigsten erwartet hätte, denn an diesem Tag sah ich ausnahmsweise mal keinen Grund zu rennen. Ich wollte sogar ans Meer fahren, um Urlaub zu machen! Wie ein fröhlicher Trottel spazierte ich durch die Stadt: Die Diebstahlanzeigen der Touristen hatten sich monatelang angehäuft, und ich hatte keine Ahnung, dass sie mich jahrelang belasten konnten. Ich lebte tatsächlich wie ein Tier in freier Wildbahn, ohne mir darüber im Klaren zu sein, dass meine Zeit abläuft. Solange ich minderjährig war, konnte man mich wegen solcher Lappalien nicht belangen, also auch nicht verurteilen. Doch als ich achtzehn wurde, galten plötzlich andere Spielregeln, und die Taten, die ich vor meiner Volljährigkeit begangen hatte und die fein säuberlich in meiner Akte festgehalten worden waren, sprachen nicht gerade für mich. Wäre ich nach dem 25 . April 1989 , meinem achtzehnten Geburtstag, zum gesetzestreuen Bürger geworden, hätten sie nichts
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