Einfach Freunde
Richtige bin.«
»Die Wohnung interessiert Sie nicht?«
Er legt den Finger auf meinen wunden Punkt. Er sieht einen Rumtreiber, einen kleinen Araber, der in einem solchen Viertel nie und nimmer einen Mietvertrag bekommen würde, einen jungen Kerl ohne jeden Ehrgeiz, einen hoffnungslosen Fall. Und dabei weià er noch gar nicht, dass ich im Gefängnis war ⦠Don Corleone hat ein Herz. Er hat keine Beine und keine Arme mehr, aber das juckt mich nicht. Ich selbst habe kein Herz, nicht für die andern und nicht für mich. Ich sehe mich nicht so, wie die andern mich sehen. Ich bin ganz zufrieden mit meinem Los. Ich habe kapiert, dass ich nie alles haben werde, ich kann mich anstrengen, wie ich will, also hab ichâs aufgegeben, mehr vom Leben zu verlangen. Der Bankangestellte zittert um seine Quarzuhr, der amerikanische Tourist um seine Videokamera, der Lehrer um seinen Renault 5 , der Arzt um sein Häuschen im Grünen  ⦠Wenn sie überfallen werden, rutscht ihnen das Herz in die Hose, und sie strecken einem die Schlüssel zum Safe entgegen, statt sich zu verteidigen! Ich will nicht zittern. Das Leben ist nur ein riesiger Betrug, ich besitze nichts, alles ist mir egal.
»Ich werde Ihr Formular nicht unterzeichnen. Wir probieren es mal. Wenn es Ihnen gefällt, bleiben Sie.«
Dieser Mann hier ist der Einzige, der nicht zittert. Er hat bereits alles verloren. Er kann sich alles leisten, das ist offensichtlich, nur das Wichtigste nicht: die Freiheit. Und trotzdem lächelt er. Ich spüre etwas Merkwürdiges in mir aufsteigen. Etwas Neues. Etwas, das mich stutzen lässt. Mich am Boden festnagelt. Mir die Sprache verschlägt. Ich bin erstaunt, ja, das ist es. Ich bin vierundzwanzig Jahre alt, ich hab schon alles gesehen, alles kapiert, ich pfeif auf alles, und zum ersten Mal in meinem Leben bin ich erstaunt. Na los, was riskier ich denn, wenn ich ihm meine Arme leihe? Ein, zwei Tage, nur so lange, bis ich weiÃ, mit wem ich es zu tun hab â¦
Ich bin zehn Jahre geblieben. Ich bin gegangen, zurückgekommen, es gab auch Zeiten des Zweifels, in denen ich weder wirklich weg noch wirklich da war, aber alles in allem bin ich zehn Jahre geblieben. Dabei sprachen jede Menge Gründe dafür, dass es schiefgehen würde zwischen dem Grafen Philippe Pozzo di Borgo und mir. Er stammte aus einer aristokratischen Familie, meine Eltern besaÃen gar nichts; er hat die bestmögliche Ausbildung erhalten, ich bin in der Siebten abgesprungen; er sprach wie Victor Hugo, ich machte nicht viele Worte. Er war in seinem Körper eingesperrt, ich spazierte mit meinem überall herum, ohne groà darüber nachzudenken. Die Ãrzte, die Krankenschwestern, die Pflegehelfer, sie alle schauten mich scheel an. Für sie, die die Aufopferung zu ihrem Beruf gemacht hatten, war ich zwangsläufig ein Profiteur, ein Dieb, ein Unruhestifter. Ich bin in das Leben dieses wehrlosen Mannes eingedrungen wie der Wolf in den Schafstall. Ich hatte Fangzähne. Unmöglich, dass ich etwas Gutes brachte. Sämtliche Warnlämpchen blinkten auf. Das konnte gar nichts werden mit uns.
Zehn Jahre. Verrückt, nicht?
21
Die Dienstwohnung sagte mir zu. Es gab zwei Möglichkeiten, sie zu erreichen: entweder von Pozzos Apartment aus durch den Garten oder über den Parkplatz des Gebäudes. Ich war also unabhängig. Ich konnte ein und aus gehen â aus vor allem â, ohne gesehen zu werden. Strahlend weiÃe Wände, eine kleine Dusche, eine Kochnische, ein Fenster zum Garten, ein gutes Bett, eine gute Matratze: Was hätte ich mehr verlangen können? Ãbrigens verlangte ich gar nichts, da ich nicht die Absicht hatte zu bleiben. Als die Sekretärin mir den Schlüssel übergab, warnte sie mich:
»Monsieur Pozzo di Borgo hat beschlossen, noch einen zweiten Bewerber zur Probe einzustellen. Für den Augenblick kommen Sie in den Genuss des Apartments. Aber für den Fall, dass Sie wieder gehen, sind Sie bitte so freundlich, die Räumlichkeiten so zu verlassen, wie Sie sie vorgefunden haben.«
»Ja, ja, schon gut, ich werd brav sein â¦Â«
Die Blonde sollte sich einen anderen Ton angewöhnen, sonst werden wir uns nicht vertragen.
»Wir sehen uns morgen um acht zur Körperpflege.«
Sie war bereits zwei Stockwerke tiefer, als ich verstand. Ich schrie über das Treppengeländer.
»Körperpflege? Was für eine Körperpflege? He!
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