Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Einfach Freunde

Einfach Freunde

Titel: Einfach Freunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abdel Sellou
Vom Netzwerk:
Ich bin doch keine Krankenschwester!«

    Kaum aufgestanden, den Bauch noch leer, auf der Wange den Abdruck des Bettlakens, an den Füßen die Schuhe vom Vortag, erfahre ich, was ein Tetraplegiker ist: ein Toter mit einem funktionierenden Kopf. Er interviewt mich.
    Â»Na, Abdel, haben Sie gut geschlafen?«
    Ein Hampelmann, der spricht. Noch muss ich nicht selbst anpacken. Babette, eine antillische Mama von einem Meter zwanzig, nichts als Brüste und Muskeln, übernimmt das mit ebenso viel Präzision wie Energie. Sie betätigt etwas, was sie »Transfermaschine« nennt. Die braucht fünfundvierzig Minuten, um den Körper vom Bett auf den speziellen Duschsessel zu hieven, der aus Plastik und Metall besteht und voller Löcher ist. Und dann, wenn er getrocknet und angezogen ist, noch mal genauso lang vom Duschsessel zum Tagesstuhl. In Fleury hab ich mal abends im Fernsehen ein modernes Ballett gesehen. Das war genauso langatmig und genauso beschissen.
    Der Hampelmann feuert seine Truppe an.
    Â»Los, Babette, drehen Sie den Pozzo!«
    Den Pozzo. Das Ding. Das Tier. Das Spielzeug. Die Puppe. Ich beobachte die Szene, ohne einen Finger zu rühren. Genauso versteinert wie er. Der Typ ist ein Extremfall unter den Extremfällen. So einen hab ich noch nicht in meinem Inventar der menschlichen Gattung. Er beobachtet, wie ich ihn beobachte. Lässt mich nicht aus den Augen. Sie lächeln, und der Mund manchmal auch.
    Â»Abdel, gehen wir im Café frühstücken, hinterher?«
    Â»Wann immer Sie wollen.«
    Ich werfe einen Blick in den Badezimmerspiegel. Mein Feiertagsgesicht. Verschlossen und verriegelt. Wenn man mir begegnet, wechselt man die Straßenseite. Und der Pozzo findet das witzig.

    Wir richten uns auf der Terrasse ein, unter dem Heizpilz. Ich zische schweigend meine Cola und warte auf die nächste Etappe.
    Â»Abdel, könnten Sie mir bitte helfen, meinen Kaffee zu trinken?«
    Ich seh einen Superhelden vor mir, Super-Tetra. Er schaut seine Tasse an, sie schwebt hoch bis zum Mund, er öffnet die Lippen, sie neigt sich. Einmal kurz gepustet, und die Flüssigkeit hat die gewünschte Temperatur. Nein, so was mögen die Kids nicht. Nicht genug Action. Ich pfeife die Idee zurück und schnappe mir den Kaffee. Aber dann fällt mir etwas ein.
    Â»Zucker?«
    Â»Nein danke. Wie wäre es mit einer Zigarette?«
    Â»Nein, ich rauche nicht.«
    Â»Aber ich! Und Sie könnten mir eine geben!«
    Er lacht. Und ich steh da wie ein Vollidiot. Ein Glück, dass mich hier in der Gegend keiner kennt … Ich stecke den Filter zwischen seine Lippen, lasse das Zippo klicken.
    Â»Und was machen wir mit der Asche?«
    Â»Keine Sorge, Abdel, das schaffe ich schon … Reichen Sie mir doch bitte die Zeitung.«
    Die Herald Tribune gehört offenbar zum Morgenritual, denn die Blonde hat sie mir zum Abschied unter den Arm geschoben, ohne dass er danach verlangt hat. Ich lege sie auf den Tisch. Nehme einen Schluck Cola. Tetraman sagt nichts. Er lächelt, unbeirrt, wie gestern bei meinem »Vorstellungsgespräch«. Irgendetwas stimmt nicht, ich spür’s deutlich, aber was? Er klärt mich auf.
    Â»Sie müssen die Zeitung aufschlagen und so vor mich legen, dass ich sie lesen kann.«
    Â»Ã„h, ja, natürlich! Aber sicher!«
    Die vielen Seiten und Spalten und Wörter pro Spalte machen mir ein bisschen Angst.
    Â»Wollen Sie das wirklich alles lesen? Und auch noch auf Englisch, das dauert aber!«
    Â»Machen Sie sich keine Sorgen, Abdel. Wenn wir für das Mittagessen spät dran sein sollten, rennen wir einfach.«
    Er vertieft sich in seine Lektüre. Ab und zu bittet er mich umzublättern. Er beugt den Kopf vor, und die Asche fällt, knapp an der Schulter vorbei, zu Boden. Er kommt zurecht, tatsächlich … Ich starre ihn an wie einen Außerirdischen. Ein toter Körper, verkleidet als lebendiger Körper eines Bourgeois, eines wohlhabenden Großbürgers aus dem XVI . Arrondissement. Ein Kopf, der wie durch Magie funktioniert. Noch seltsamer ist, dass dieser Kopf ganz anders funktioniert als die anderen Köpfe dieser Klasse, die auf bewegungsfähigen Körpern sitzen. Ich mag die Bourgeois, weil man sie ausnehmen kann, aber ich hasse die Welt, in der sie leben. Normalerweise haben sie überhaupt keinen Humor. Aber Philippe Pozzo di Borgo lacht über alles und am meisten über sich selbst. Ich wollte

Weitere Kostenlose Bücher