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Einfach Freunde

Einfach Freunde

Titel: Einfach Freunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abdel Sellou
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nachdenkt? Ein Professor? Ein Doktor? Und warum sollte man denn einen Doktor umbringen? Belkacem und Amina machten den Fernseher aus.
    Â»Abdel, hast du gesehen? Du hast einen Brief vom Arbeitsamt!«
    Â»Hab ich gesehen, Mama, hab ich gesehen.«
    Â»Und? Machst du ihn denn gar nicht auf?«
    Â»Morgen, Mama, morgen …«

    Es balanciert nur ein Umschlag auf dem Heizkörper, aber der enthält zwei verschiedene Vorladungen. Die erste fordert mich auf, mich nach Garges-lès-Gonesse zu begeben, wo ich es mit ein bisschen Glück zum Wachmann in einem Supermarkt bringen kann. Garges-lès-­Gonesse, ist das ’ne neue Metrostation? Haben sie die ausgehoben, als ich in Fleury saß? Nein, ich seh schon, da steht es, kleingedruckt und in Klammern: Garges-lès-Gonesse im fünfundneunzigsten Departement. Das muss ein Irrtum sein. Ich hab beim Arbeitsamt deutlich gesagt, dass mein Arbeitsplatz nicht außerhalb der Ringautobahn liegen darf. Ich stopfe das Papier in meine Tasche und werfe einen kurzen Blick auf das andere Blatt. ­Avenue Léopold II , Paris XVI . Na, geht doch! Klingt schon besser! Das Viertel des alten Léo, das kenn ich wie meine Hosentasche. Folgen Sie dem gelben Regenschirm. Sie erreichen das XVI. Arrondissement über zwei Stationen der Metrolinie neun, Jasmin und Ranelagh, wo Sie großartige Stadtpalais und Herrenhäuser bewundern können, toll, nicht … Die Leute dort leben nicht in Wohnungen, sondern in Panzerschränken. Jeder Raum verfügt über ein angrenzendes Badezimmer, in dem man locker zwölf Personen unterkriegt, die Teppiche sind so flauschig wie die Sofas. In diesem Viertel, in dem es kaum Geschäfte gibt, leben alte Tantchen im Pelzmantel, die sich ihr Frühstück von den Feinstkostläden nach Hause liefern lassen. Ich weiß das, weil Yacine und ich uns früher den Spaß erlaubt haben, die Lieferanten zu erleichtern (manchmal auch die alten Tantchen selbst, wir boten ihnen freundlich unsere Hilfe an und machten uns mit den Päckchen aus dem Staub). Wir hatten die eigentlich ehrenwerte Absicht, einen Gastronomieführer zu verfassen, aber davor muss man doch wohl kosten! Wir haben Fauchon, Hédiard, Lenôtre und sogar Fischeier aus ich-weiß-nicht-mehr-welchem-ach-so-renommierten Haus getestet. Dass man uns nicht für Amateure hält: Wir wussten sehr wohl, dass ein Ramequin unbezahlbar ist und Kaviar enthält. »Kaviaaar«, wie die Eingeborenen sagen. Mal ehrlich, es war ekelhaft.
    Also ab in die Avenue Léopold II . Ich schau nicht mal nach, um was für eine Arbeit ich mich bewerben soll: Ich weiß im Voraus, dass nichts daraus wird. Ich will nur den Amtswisch unterschreiben lassen, um beweisen zu können, dass ich mich bei der angegebenen Adresse eingefunden habe. Ich werd ihn ans Arbeitsamt schicken und sagen, nein, leider hat es wieder nicht geklappt. Schon hart, das Leben für die Jungs aus der Vorstadt …

    Ich stehe vor der Tür. Weiche zurück. Nähere mich noch einmal. Lege die Hand auf das Holz, ganz vorsichtig, als könnte ich mich verbrennen. Irgendwas stimmt da nicht. Das sieht aus wie das Eingangstor zu einer Ritterburg. Lasst die Zugbrücke herunter! Gleich werde ich durch die Mauer hindurch eine Stimme hören. Sie wird mir sagen: »He da, Rüpel, geh deines Weges! Unser Herr verteilt keine Almosen. Verzieh dich, bevor ich dich den Krokodilen zum Fraß vorwerfe!«
    Haben Sie schon gehört? Abdel Yamine Sellou geht zum Film. Er spielt Jacquouille La Fripouille in Die Zeitritter . Ich halte nach den Kameras Ausschau, im Gebüsch, hinter den geparkten Wagen am Bordsteinrand, hinter dem Rücken der Politesse, die ihre Runde dreht. Ich lache laut vor mich hin in meinem Wahn. Ich muss wie ein Bekloppter aussehen, da auf dem Bürgersteig … Ist gut, Abdel, beruhig dich. Vielleicht hätte ich die andere Vorladung doch nicht wegschmeißen sollen, die für Garges-lès-Gonesse. Beim Arbeitsamt muss ich mindestens eine Unterschrift anschleppen … Ich überprüfe noch einmal den Namen der Straße. Stimmt. Überprüfe die Hausnummer. Stimmt auch, theoretisch. Trotzdem, etwas ist faul an der Sache. Es sei denn … Nein! Die werden mich doch nicht zu den Bonzen schicken, um zu putzen!
    Noch einen Blick auf die Vorladung, wo die Arbeitsbezeichnung steht: »Hilfskraft als Intensivpfleger für Tetraplegiker«. Was

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