Einfach Freunde
Poren. Was für Snobs ⦠Auf dem Boden, in der Mitte eines Standes, ist ein quadratmetergroÃer, dicker Teppich ausgebreitet. Sieh mal an, ein roter FuÃabtreter! Aber wozu? Ach nein, auf der Seite ist ein kleines Etikett. Das muss die Gebrauchsanleitung sein: Man darf nicht drauftreten, aber man darf mit der Hand drüberstreichen. Und dann drückt sich das Kunstwerk ab, bis die nächste Hand es verwandelt oder auswischt. So ein Schrott. Ich bücke mich, aber nicht, um den Künstler zu geben. Ich zähle die winzigen Nullen, die sich auf dem Kärtchen in winziger Schrift eng aneinanderreihen. Wir bewegen uns im Bereich der Hunderttausender. Nicht zu fassen!
»Gefällt es dir, Abdel?«
Monsieur Pozzo hat mein deprimiertes Gesicht gesehen und macht sich über mich lustig.
»Mal ehrlich, ich bring Sie zum Baumarkt und hol Ihnen so ein Teil für fünf Francs! Und Sie können auch noch die Farbe aussuchen!«
Wir setzen unsere kleine Tour der Abzocker fort. An der Spitze eines Stabs balanciert ein blaues Wollknäuel. Ist das zum Staubwischen? Alle fünf Sekunden setzt sich geräuschvoll ein alter Diaprojektor in Gang und wirft ein schwarzweiÃes Strandbild an die Wand. Und das soll Kunst sein? Lauter grottenschlechte Fotos, nicht mal die Brüste der Mädchen sind zu sehen. Auf einer Leinwand laufen Linien in allen Farben ineinander. Es gibt hier und da auch mal ein Dreieck, überhaupt alle möglichen Formen, ein einziges Gekrakel ⦠Ich versuche, irgendetwas zu erkennen, einen Gegenstand, ein Thema, ein Tier, eine Figur, ein Haus, einen Planeten ⦠Ich verdrehe den Kopf in alle Richtungen, beuge mich vor und schaue kopfüber zwischen den Beinen hindurch. Auch aus dieser Perspektive ist es hoffnungslos.
»Das ist Lyrische Abstraktion, Abdel.«
»Lyrics, wie die Songtexte?«
»Genau, wie in der Musik!«
»Mmh. Tja, und genauso wirkt es auch auf mich! Fehlanzeige! Und wie viel soll der Schinken kosten? Ach du meine Fresse! Das können ja nicht mal Sie sich leisten, und das will was heiÃen.«
»Doch, ich kann.«
»Na gut, aber Sie wollen nicht! Sie wollen doch nicht etwa? Ich warne Sie, he, Monsieur Pozzo: Bauen Sie nicht drauf, dass ich einen Nagel einschlage, damit wir dieses Ding hier von morgens bis abends vor der Nase haben!«
Nein, er will nicht. Er behält seine Kohle lieber für die Kommoden. Denn es gibt auch eine Kommoden-Auktion. Woher hat er bloà diese Marotte für Kommoden? Er weià schon gar nicht mehr, was er in die Schubladen packen soll. Macht nichts, Kommoden müssen her ⦠Stimmt schon, in einem Apartment, das über vierhundertfünfzig Quadratmeter groà ist, sehen die Wände damit schon viel besser aus. Er stöbert sie in den Verkaufskatalogen von Drouot und anderen Auktionshäusern auf, und wenn er nicht fit ist, schickt er mich an seiner Stelle hin. Meist bereut er es: Ich kehre zwar nie ohne das Ding zurück, aber übersteige oft sein Limit. Dann seufzt er und bereut sein übertriebenes Vertrauen. Ich spiele den Liebhaber:
»Aber Monsieur Pozzo, die konnten wir uns wirklich nicht entgehen lassen. Dafür gefiel sie mir zu sehr!«
»Möchtest du, dass wir sie in dein Zimmer stellen, Abdel?«
»Oh, mmh, nein ⦠Das ist nett, aber es wäre schade, sie Ihnen vorzuenthalten.«
32
Ich wurde am Steuer des Jaguars von der Polizei angehalten. Ich war nicht zu schnell und auch über keine rote Ampel gefahren. Zwei Polizisten in Zivil drängten mich mit Blaulicht und heulender Sirene gegen den Bürgersteig. Sie haben einen schlechtrasierten, schlechtgekleideten Maghrebiner im Luxusschlitten gesehen, was braucht es mehr? Ich fand mich auf der Kühlerhaube liegend wieder, ohne Zeit für eine Erklärung.
»Vorsicht, Sie werden die Farbe zerkratzen ⦠Das ist das Auto meines Chefs.«
Die Kerle lachten hinter meinem Rücken.
»Wo willst denn du einen Chef hernehmen?«
»Ich bin sein Fahrer und sein Intensivpfleger. Er ist Tetraplegiker. Wissen Sie, was das ist, ein Tetraplegiker? Ein Te-tra-ple-gi-ker? Rufen Sie ihn an, wenn Sie wollen! Er heiÃt Philippe Pozzo di Borgo und wohnt im XVI . Arrondissement, in der Avenue Léopold II . Seine Telefonnummer steht auf den Versicherungspapieren im Handschuhfach.«
Sie haben mich wieder aufgerichtet, aber ich hatte immer noch die Handschellen auf dem
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