Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Einfach Freunde

Einfach Freunde

Titel: Einfach Freunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abdel Sellou
Vom Netzwerk:
Allerdings hab ich auch gut und gerne fünfzig Kilo weniger drauf als sie. Und er behauptet, ich habe zugenommen! Da ist doch noch jede Menge Spielraum!

    Das Kloster sieht aus wie ein Landhaus in den Bergen: überall Holz, keine vergitterten Fenster, ein See voller Boote. Ob die Mädels Angelruten verleihen? Philippe Pozzo di Borgo ist ein besonderer Gast: Normalerweise öffnen die Nonnen das Haus nur für Frauen. Wie in den Schulen früher: die Mädchen auf der einen, die Knaben auf der andern Seite. Keine Vermischung! Aber ein Tetraplegiker, das ist natürlich etwas anderes … Die Männlichkeit meines Bosses hat durch seinen Unfall einen harten Schlag erlitten, und ich finde es nicht sehr zartfühlend, ihn daran zu erinnern, dass er sich nicht mehr nach Lust und Laune vermischen kann. Was mich betrifft, so bin ich in meiner Funktion als »Hilfskraft« zugelassen. Inzwischen mag ich das Wort. Ich hatte Zeit, über seinen Sinn nachzudenken: Wie das Hilfsverb in der Grammatik, hat auch eine Hilfskraft keine Funktion, solange sie alleine ist. Das Hilfsverb muss mit einem anderen Verb zusammengetan werden, oder es ist rein gar nichts. Ich habe, zum Beispiel? Was habe ich denn? Ich habe gegessen. Ich habe gelesen. Ich habe geschlafen. Alles klar. Ich bin das Hilfsverb, und Monsieur Pozzo ist das Hauptverb. Er ist es, der isst, der liest, der schläft. Aber ohne mich schafft er das nicht. Was die Nonnen nicht wissen, ist, dass das Hilfsverb Abdel eine besonders freie Stellung besitzt in der Grammatik des Lebens. Aber sie werden schon noch draufkommen.
    Man teilt mir ein Zimmer im Erdgeschoss zu, gleich neben meinem Chef – nein, man wird mich nicht dazu bringen, es Zelle zu nennen. Der Wagen steht auf dem Parkplatz, ich bin ganz gelassen. Heute Abend heißt mein Hauptverb »schlafen«. Und ich habe einen Plan: Sobald ich Monsieur Pozzo in die Heia gebracht habe, werde ich aus dem Fenster steigen und in die nächste Stadt fahren. In der Zwischenzeit mache ich das Spielchen mit. Wie immer, wenn ich an einen Ort komme, den ich nicht kenne, beobachte ich erst mal. In der Kirche stelle ich den Rollstuhl vom Chef neben die Sitzreihe, dann lehne ich mich an einen Pfeiler in der Nähe und mache ein Auge zu. Mit dem anderen beobachte ich. Die Seminaristinnen sehen alle ein wenig kaputt aus, körperlich oder psychisch oder beides gleichzeitig. Sie konzentrieren sich nur auf ihr Leiden, das sie nicht loslässt, sie ganz und gar in seinen Krallen hält, und sie versuchen, sich durch das Gebet von ihm zu befreien. Ich seh nicht ein, was das mit mir zu tun haben soll. Ein paar von ihnen sind an den Rollstuhl gefesselt, wie Monsieur Pozzo. Ich betrachte sie: Keine Frage, wenn mich das Arbeitsamt zu denen geschickt hätte, wäre ich nicht geblieben. Sie sehen mir wirklich eine Spur zu unglücklich aus. Sämtliche Sicherungen sind rausgesprungen, in ihrem Oberstübchen brennt keine einzige Glühbirne mehr! Während es bei Pozzo blinkt und blitzt. Dieser Typ ist ganz anders als sie. Er ist ein weiser Krieger, ein Jedi wie in Star Wars  … Die Macht ist mit ihm.
    Im Restaurant – nein, man wird mich nicht dazu bringen, es Refektorium zu nennen – wird nicht gesprochen. Man kaut und betet gleichzeitig, so will es die Regel. Ob man dafür beten darf, dass das, was man kaut, besser schmeckt? Wenn ich nur daran denke, dass es zwanzig Minuten von hier All you can eat-Buffets gibt … Monsieur Pozzo und ich haben beschlossen, uns nicht in die Augen zu sehen. Bloß nicht! Wir würden auf der Stelle in Lachen ausbrechen. Ich lese seine Gedanken, und er liest meine. Unsere Andacht lässt noch etwas zu wünschen übrig, und ganz ehrlich, mit seiner steht es nicht besser als mit meiner. Eine Pastorin schaut mich aus dem Augenwinkel an. Was für ein neckischer Blick. Wenn sie hält, was sie verspricht, packe ich sie in den Pontiac, und die wilden Quebecer Nächte gehören uns!
    Außer dass ich das Zimmer nicht durch das Fenster verlassen kann. Es ist nicht verriegelt, es ist nicht vergittert, aber die Fluchttreppe endet genau vor meiner Scheibe. Wenn die Baracke Feuer fängt, gibt es einen Toten, einen einzigen. Man wird für seine Seele beten, man wird ihn heiliger Abdel nennen … Ich sitze in der Klemme. Es gibt nicht das kleinste Geräusch, wir sind verloren in der Quebecer Pampa, eine Eule schreit, eine Kapuzinerin

Weitere Kostenlose Bücher