Einfach mehr Charisma
nicht einmal die ganz großen charismatischen Persönlichkeiten der Geschichte gerecht, wie beispielsweise Mahatma Gandhi, John F. Kennedy oder die Begründer der großen Weltreligionen. Und auch nicht die großen Diktatoren wie Adolf Hitler, Josef Stalin oder Mao Tse-tung.
Weber hält echtes, reines Charisma für nicht erlernbar und künstlich erzeugtes Charisma für eine Inszenierung. Doch auch die großen Charismatiker der Vergangenheit nutzten geschickt inszenierte Auftritte, um ihrer Botschaft mehr Wirkung zu verleihen. Die so gemachte Unterscheidung zwischen genuinem und künstlichem Charisma hilft uns in der heutigen Zeit nicht wirklich weiter, wenn wir dem Phänomen gerecht werden wollen, denn auch ein Mann wie Barack Obama, dem ein äußerst großes Charisma attestiert wird, versteht es, sich geschickt in Szene zu setzen und nicht zuletzt so die Herzen der Menschen zu erreichen.
Weber geht weiter davon aus, dass man den Keim der charismatischen Begabung in sich tragen muss und nicht jeder Charisma erlangen könne. Wie er zu dieser Schlussfolgerung gelangt, geht aus seinen Texten nicht hervor, wie er auch nicht genau beschreibt, welche Eigenschaften einen charismatischen Menschen ausmachen oder wie genau sich das im Keim angelegte Charisma entfaltet. Auch hier ist anzumerken, dass nicht alle charismatischen Persönlichkeiten von Beginn ihres Lebens an als solche erkennbar waren. So deutete zum Beispiel bei Hitler in seinen ersten dreißig Lebensjahren nichts auf eine außergewöhnliche Begabung, ja nicht einmal auf besonderes Interesse für Politik hin, wie Ludolf Herbst in seinem Buch Hitlers Charisma analysierte.
Charisma erzeugt und braucht – so Weber – den Ausnahmezustand. So ist der Aufstieg von Demagogen und Diktatoren zu erklären, aber auch jener von Revolutionären und Rebellen, die mit ihrer Energie neue Ideen vorantreiben und Traditionen aufbrechen. Doch erstarren diese Bewegungen bald selbst wieder in Ritualen und begründen eine Tradition, sichtbar an Revolutionen, die in Bürokratie und Routine münden – und sich der Charismatiker entledigen. Weber hat schon erkannt, dass sich die Anhänger abwenden, wenn der charismatische Anführer keine Erfolge liefert. Schnell suchen die Menschen dann einen neuen Hoffnungsträger, auf den sie ihre Wünsche und Sehnsüchte projizieren.
Der Nimbus
Ein Mensch, der von seiner Mission beseelt ist, in Kombination mit der ständigen Wiederholung einer Idee, vorgetragen mit Macht und Überzeugung, erhält eine unwiderstehliche Kraft, die wir als Nimbus bezeichnen.
Menschen mit persönlichem Nimbus haben eine sehr starke Ausstrahlung, gegen die sich kaum jemand wehren kann. Geht der Nimbus mit einer Position, mit der Würde und dem Ansehen einher, spricht man vom erworbenen Nimbus. Faszinierender ist allerdings der persönliche Nimbus. Einem Menschen mit einem solchen Nimbus gelingt es, jegliche Kritikfähigkeit im Gegenüber auszuschalten, er lässt uns ehrfürchtig und erstaunt zurück. Dies ist jedoch nur möglich bei einem Menschen, der ein großes Ziel verfolgt und selbst felsenfest davon überzeugt ist.
Einer der Ersten, der dies erkannt hat, war Gustave Le Bon in seinem Klassiker Psychologie der Massen . Er war sicher, dass die Bedeutung charismatischer Staatsmänner immer wichtiger wird und dass diese lernen müssen, die Menschen zu führen. Dies hielt er immerhin bereits 1895 in seinem Werk als Hilfe für zukünftige Machthaber fest. Le Bon weist darauf hin, dass der Einzelne sich in der Masse dem Ganzen anpasst und seine Interessen den Interessen des Ganzen opfert.
Wie das Charisma setzt sich der Nimbus aus unterschiedlichen Faktoren zusammen, gekoppelt ist er allerdings an den Erfolg. Bleiben die Erfolge aus, verblasst auch irgendwann der Nimbus einer Persönlichkeit
Charisma und Gesellschaft
Neuere soziologische Theorien haben den Charisma-Begriff erweitert, indem sie eine soziale Komponente hinzugefügt haben. Der französische Soziologe Pierre Bourdieu (1930–2002), der die unterschiedlichen Verhaltensweisen gesellschaftlicher Schichten erforschte, sah bestimmte Verhaltensmuster als ausschlaggebend dafür, ob jemand als charismatisch empfunden wird. Zu diesen Verhaltensmustern, die man auch als Habitus bezeichnet, gehört zum Beispiel der Sinn für Ästhetisches oder ein bestimmter Geschmack bei der Auswahl äußerer Zeichen wie Kleidung, Schmuck, Accessoires, von Gegenständen, mit denen man sich umgibt, oder Dingen, mit denen man sich
Weitere Kostenlose Bücher