Einfach sexy
nicht einzuschätzen wusste. Doch wann immer sie das Gespräch mit ihm suchte, war er beschäftigt, musste telefonieren, war auf dem Sprung oder öffnete ihr einfach nicht. Keine Diskussionen, keine gemeinsamen Mahlzeiten. Weder Gespräche noch irgendeine Andeutung auf Sex. Und das Schlimmste war, dass sie gerade dies am meisten ärgerte.
Einmal nachts war sie aufgewacht und hatte völlig verblüfft den schlafenden Jesse in dem Sessel neben ihrem Bett kauernd
gefunden, das alte Fotoalbum geöffnet auf seinem Schoß. Sie war aufgestanden, hatte sich vor ihn gekniet und behutsam die angespannten Linien in seinem Gesicht berührt. Er war nicht einmal aufgewacht, als sie ihm das Album weggenommen hatte. Sie hatte sich vor ihn gesetzt und sich die Fotos aus ihrer Jugend angesehen. Seine Familie und ihre. Jesse, jung und lachend, neben seiner vor Stolz strahlenden Mutter. Dann eins von ihm mit seinem Vater, Jahre später vor Jesses Elternhaus aufgenommen. Derek stand ziemlich verloren abseits. Oder hatte Derek bewusst nicht an den Eskapaden seines Vaters und seines Bruders teilhaben wollen?
Nach Mrs. Chapmans Tod hatte es den Anschein, als hätte Carlen Chapman Jesse gebraucht – ähnlich wie bei Kate und ihrer Mutter. Aber in Kates Fall hatte das Kind die elterliche Verantwortung übernommen, während Jesse schlicht der Kumpel seines Vaters geworden war.
Als Kate die letzten Fotos durchgeblättert hatte, schlief Jesse immer noch, als hätte er wochenlang kein Auge zugemacht. Schließlich deckte sie ihn zu und ging wieder ins Bett.
Am Morgen war er fort, die Decke hatte er über sie gelegt. Er fühlte sich sichtlich zu ihr hingezogen, trotzdem wich er ihr aus. Das ließ Kate einerseits hoffen, andererseits aber auch zweifeln, dass sie seinen Schutzwall jemals würde durchbrechen können.
Am Tag vor dem Freundschaftsspiel braute sich ein westtexanisches Unwetter zusammen, dunkle Gewitterwolken stoben über den Himmel, während ganz El Paso dem Golfereignis entgegenfieberte. Travis saß in der Küche, die Ellbogen auf dem Tisch, das Gesicht in die Hände gestützt, und starrte auf den Fernseher, der nicht eingeschaltet war.
Kate kam durch den Hintereingang ins Haus. Sie warf Schlüssel und Handtasche auf den Tisch. »He, Sportsfreund.«
»Hey.« Er hielt es anscheinend nicht für nötig, sich zu ihr umzudrehen. »Müsstest du nicht eigentlich arbeiten?«
»Müsstest du nicht eigentlich nebenan bei Suzanne sein und auf den Golfbus warten?«
Das entlockte ihm jenes schiefe Lächeln, welches dem seines Vaters so ähnlich war, und Kates Herz zog sich zusammen.
»Ja. Aber Suzanne ›wäscht‹ sich die Haare und wollte mir Bescheid sagen, wenn sie fertig ist. In Wirklichkeit färbt sie sie und denkt, ich merke es nicht. Sie meinte, dass du sämtliche Notfallnummern für mich dagelassen hast, sodass mir in der Zwischenzeit gar nichts passieren kann. Außerdem will ich gleich zu Lena rüber, um ihr bei ein paar Sachen zu helfen.«
»Ist ihre Mom zu Hause?«
»Ja. Und wir werden uns auch keine Golfmagazine mehr ansehen. Großes Ehrenwort!«
Sie sahen einander an und mussten lachen.
»Und warum bist du hier?«, bohrte er.
Kate zuckte betont lässig die Schultern. »Ich war kurz auf dem Golfplatz, um sicherzugehen, dass auch alles okay ist für den großen Tag morgen.«
»Du hast Jesse gesucht, stimmt’s?«
Sie goss sich ein Glas Orangensaft ein, hielt mitten in der Bewegung inne und verdrehte die Augen. »Bin ich so leicht zu durchschauen?«
»Ja, aber das macht nichts.«
Wieder spähte er auf den dunklen Bildschirm. »Ist alles okay mit meinem Dad?«
Kates Puls beschleunigte sich bedenklich. Travis war hellauf begeistert gewesen, als er von dem Freundschaftsspiel erfahren hatte.
Sie stellte den Saftkarton in den Kühlschrank zurück. »Klar doch.«
Sie wünschte, sie wäre sich wirklich sicher. War sie zu sehr auf ihre eigenen Probleme fixiert gewesen und hatte den deutlichen Anzeichen nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt? Warum er nach El Paso zurückgekehrt war? Warum er sich in
die Arbeit an dem Baumhaus stürzte, statt Golf zu spielen, wo er doch vor dem wichtigsten Turnier seiner Golferkarriere stand?
Und was hatte Tommy Davis mit dem Satz gemeint: »Sie sind doch ein Held, Jesse, oder?«
Als sie darüber nachdachte, fiel ihr wieder der merkwürdige Ton des Reporters ein. Es hatte verdächtig nach einer Frage geklungen.
Das Knirschen von Kies in der Auffahrt lenkte Kate und Travis ab. Sie
Weitere Kostenlose Bücher