Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit
wie Hauptmann Keith richtig feststellte, der große Mann bei all seinen Triumphen so groß wie in jener letzten, von der Welt verachteten Niederlage. Er sah kalt nach seiner Waffe, um das Blut abzuwischen; er sah, daß die Säbelspitze, die er seinem Opfer zwischen die Schultern gepflanzt hatte, in dessen Körper abgebrochen war. Er sah ganz gelassen, wie durch das Fenster eines Clubs, alles, was folgen mußte. Er sah, daß man den unerklärlichen Leichnam finden mußte; die unerklärliche Säbelspitze herausholen mußte; den unerklärlichen abgebrochenen Säbel bemerken mußte – oder die Abwesenheit eines Säbels. Er hatte getötet, aber nicht Schweigen gewonnen. Doch sein herrischer Geist bäumte sich gegen diesen Schlag ins Gesicht auf – noch gab es einen Ausweg. Er konnte den Leichnam weniger unerklärlich machen. Er konnte einen Hügel Leichname schaffen, um diesen einen zu bedecken. 20 Minuten danach marschierten 800 englische Soldaten in ihren Tod.«
Der wärmere Glanz hinter dem schwarzen Winterwald wurde stärker und heller, und Flambeau schritt aus, um ihn zu erreichen. Auch Father Brown beschleunigte seine Schritte; aber vor allem schien er in seine Geschichte versunken.
»So groß war die Tapferkeit dieses englischen Tausends, und so groß das Genie ihres Befehlshabers, daß, wenn sie sofort den Hügel angegriffen hätten, sogar ihr Wahnsinnsmarsch hätte Erfolg haben können. Aber der böse Geist, der mit ihnen wie mit Bauern spielte, hatte andere Ziele und Gründe. Sie mußten wenigstens so lange in den Sümpfen bei der Brücke bleiben, bis britische Leichname dort ein gewöhnlicher Anblick waren. Und dann die letzte große Szene: der silberhaarige Heilige Soldat, der sein zerbrochenes Schwert übergibt, um weiteres Schlachten zu verhindern. Oh, für ein Stegreifstück war es ausgezeichnet inszeniert. Aber ich glaube (ich kann es nicht beweisen), ich glaube, daß dort in den blutigen Sümpfen jemand zu zweifeln begann – und jemand erriet.«
Er schwieg einen Augenblick und sagte dann: »Eine Stimme aus dem Nichts flüstert mir zu, daß dieser Mann der Liebhaber war… der Mann, der das Kind des alten Mannes heiraten sollte.«
»Aber was ist mit Olivier und dem Aufhängen?« fragte Flambeau.
»Olivier pflegte seinen Marsch teils aus Ritterlichkeit, teils aus Politik selten mit Gefangenen zu beschweren«, erklärte der Erzähler. »Er ließ meistens alle frei. Er ließ in diesem Fall alle frei.«
»Alle bis auf den General«, sagte der große Mann.
»Alle«, sagte der Priester.
Flambeau runzelte seine schwarzen Brauen. »Ich verstehe immer noch nicht ganz«, sagte er.
»Es gibt noch ein anderes Bild, Flambeau«, sagte Brown mit geheimnisvollem Unterton. »Ich kann es nicht beweisen; aber ich kann mehr tun – ich kann es sehen. Ich sehe, wie am Morgen auf den kahlen sengenden Hügeln das Lager abgebrochen wird und brasilianische Uniformen sich zu Blöcken und Marschkolonnen massieren. Ich sehe das rote Hemd und den langen schwarzen Bart von Olivier, wie er im Winde weht, als der dasteht mit dem breitkrempigen Hut in der Hand. Er sagt dem großen Gegner, den er freiläßt, Lebewohl – dem einfachen, weißköpfigen englischen Veteranen, der ihm im Namen seiner Männer dankt. Die englischen Überreste stehen hinter ihm angetreten; neben ihnen Vorräte und Fahrzeuge für den Rückmarsch. Die Trommeln rollen; die Brasilianer ziehen ab; die Engländer stehen noch wie Statuen und bleiben so, bis das letzte Brummen und Blitzen des Feindes vom tropischen Horizont verschwunden ist. Dann plötzlich ändert sich ihre Haltung, als ob tote Männer zum Leben erwachten; sie wenden ihre 50 Gesichter dem General zu – Gesichter, die unvergeßlich sind.«
Flambeau fuhr zusammen. »Ah«, schrie er. »Sie meinen doch nicht etwa – «
»Ja«, sagte Father Brown mit tiefer und bewegender Stimme.
»Es war eine englische Hand, die den Strick um St. Clares Hals legte; ich glaube, es war die Hand, die den Ring auf seiner Tochter Finger schob. Es waren englische Hände, die ihn zum Baum der Schande schleiften; die Hände von Männern, die ihn angebetet hatten und ihm zum Sieg gefolgt waren. Und es waren englische Seelen (Gott vergebe uns allen und erbarme sich unser!), die auf ihn starrten, wie er da unter der fremden Sonne am grünen Galgen der Palme schwang, und die in ihrem Haß beteten, daß er von ihr in die Hölle stürzen möge.«
Als die beiden den Kamm überquert hatten, brach ihnen das starke rote
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