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Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Titel: Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gilbert Keith Chesterton
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in einer Straße, die in jenem heißen Sommer fast so belaubt erschien wie dessen Park selbst; eine Reihe von Kastanienbäumen zerbrach den Sonnenschein und wurde nur an einer Stelle unterbrochen, wo ein großes Café sich bis an die Straße heranschob. Ihm fast gegenüber befanden sich die weiß-grünen Sonnenblenden am Haus des großen Wissenschaftlers, an dem ein ebenfalls grüngestrichener schmiedeeiserner Balkon vor den Fenstern des ersten Stockwerks entlanglief. Darunter befand sich der Eingang in eine Art von Innenhof, geschmückt durch Sträucher und Fliesen, in den die beiden Franzosen in lebhaftem Gespräch einbogen.
    Die Tür ward ihnen von Simon, des Doktors altem Diener, geöffnet, der selbst sehr wohl für einen Doktor hätte angesehen werden können mit seinem strengen schwarzen Anzug, der Brille, dem grauen Haar und der vertrauenerweckenden Umgangsweise. Er gab in der Tat einen sehr viel ansehnlicheren Mann der Wissenschaft ab als sein Herr, Dr. Hirsch, der wie ein gegabelter Rettich aussah und dessen mächtiger Schädel den Körper bedeutungslos erscheinen ließ. Mit all der Würde eines bedeutenden Arztes im Umgang mit einem Rezept händigte Simon Monsieur Armagnac einen Brief aus. Dieser Ehrenmann riß ihn mit der seiner Rasse eigentümlichen Ungeduld auf und las rasch das Folgende:
     
    »Ich kann jetzt nicht hinabkommen, um mit Ihnen zu reden. Im Haus befindet sich ein Mann, den zu sprechen ich mich weigere. Er ist ein chauvinistischer Offizier namens Dubosc. Er sitzt auf den Treppenstufen. Er hat in all den anderen Zimmern die Möbel herumgeschmissen; ich habe mich in meinem Arbeitszimmer gegenüber dem Café eingeschlossen. Wenn Sie mich lieben, gehen Sie hinüber ins Café und warten an einem der Tische draußen. Ich will versuchen, ihn zu Ihnen hinüberzuschicken. Ich möchte, daß Sie ihm antworten und mit ihm sprechen. Ich kann ihn nicht selbst treffen. Ich kann nicht: ich will nicht. Es wird einen neuen Fall Dreyfus geben.
    P. H IRSCH «
     
    Monsieur Armagnac sah Monsieur Brun an. Monsieur Brun nahm sich den Brief, las ihn und sah Monsieur Armagnac an. Dann begaben sich beide rasch zu einem der kleinen Tische unter den Kastanien gegenüber, wo sie sich zwei große Gläser scheußlich grünen Absinths bestellten, den sie offenbar bei jedem Wetter und zu jeglicher Zeit trinken konnten. Im übrigen erschien das Café leer, mit Ausnahme eines Soldaten, der an einem der Tische einen Kaffee trank, und, an einem anderen Tisch, eines großen Mannes, der einen kleinen Aperitif trank, und eines Priesters, der nichts trank.
    Maurice Brun räusperte sich und sagte: »Natürlich müssen wir dem Meister in jeder Weise behilflich sein, aber – «
    Dann herrschte jäh Schweigen, bis Armagnac sagte: »Er mag ja ganz ausgezeichnete Gründe dafür haben, den Mann nicht selbst treffen zu wollen, aber – «
    Bevor noch einer von ihnen seinen Satz beenden konnte, wurde offenkundig, daß der Eindringling aus dem gegenüberstehenden Haus herausgeworfen worden war. Das Gebüsch unter der Toreinfahrt bebte und barst auseinander, als jener unwillkommene Besucher wie eine Kanonenkugel herausschoß.
    Es war eine handfeste Gestalt mit einem kleinen kecken Tirolerhut, eine Gestalt, die in der Tat etwas allgemein Tirolerisches an sich hatte. Die Schultern des Mannes waren mächtig und breit, aber seine Beine waren schlank und beweglich in Bundhosen und Strickstrümpfen. Sein Gesicht war nußbraun; er hatte sehr helle und unruhige braune Augen; sein dunkles Haar war vorne streng zurückgebürstet und hinten kurz geschnitten und ließ einen quadratischen mächtigen Schädel erkennen; und er hatte einen riesigen schwarzen Schnurrbart wie das Gehörn eines Wisents. So ein mächtiges Haupt sitzt normalerweise auf einem Stiernacken; aber dieser hier war von einem großen bunten Schal verhüllt, der sich bis zu des Mannes Ohren schlang und vorne in seiner Jacke stak wie eine Art farbenfroher Weste. Es war ein Schal von starken stumpfen Farben, Dunkelrot und Altgold und Purpur, vermutlich ein orientalisches Gewebe. Insgesamt war um den Mann ein Hauch Barbarisches; eher ein ungarischer Landedelmann als ein gewöhnlicher französischer Offizier. Sein Französisch jedoch war offenkundig das eines Eingeborenen; und sein französischer Patriotismus war so impulsiv, daß es ans Absurde grenzte. Nachdem er aus dem Torweg herausgeflogen kam, rief er als erstes mit Stentorstimme die Straße hinab: »Gibt es hier Franzosen?«, als

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