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Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Titel: Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gilbert Keith Chesterton
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riefe er in Mekka nach Christen.
    Armagnac und Brun erhoben sich sofort; aber sie waren schon zu spät. Von den Straßenecken rannten bereits Männer herbei; es bildete sich eine kleine, aber ständig dichter werdende Menge. Mit dem untrüglichen Instinkt des Franzosen für die Politik der Straße war der Mann mit dem schwarzen Schnurrbart bereits zu einer Ecke des Cafés gerannt, auf einen der Tische gesprungen und schrie, während er sich an einem Kastanienast festhielt, wie einst Camille Desmoulins schrie, als er Eichenlaub unter das Volk streute.
    »Franzosen!« donnerte er. »Ich kann nicht reden! Gott steh’ mir bei, und deshalb rede ich! Die Kerle in ihren lausigen Parlamenten, die gelernt haben zu reden, haben auch gelernt zu schweigen – zu schweigen wie jener Spion, der da drüben in seinem Haus kauert! Zu schweigen wie er, als ich gegen seine Schlafzimmertür schlug! Zu schweigen wie er eben jetzt, obwohl er meine Stimme über die Straße hinweg hört und erbebt, wo er auch sitzen mag! Oh, sie können beredt schweigen – die Politiker! Aber die Zeit ist gekommen, da wir, die wir nicht reden können, reden müssen. Ihr seid an die Preußen verraten. Verraten in diesem Augenblick. Verraten durch jenen Mann. Ich bin Jules Dubosc, Oberst der Artillerie, Belfort. Wir haben gestern in den Vogesen einen deutschen Spion gefangengenommen und bei ihm ein Papier gefunden – ein Papier, das ich hier in der Hand halte. Oh, sie haben versucht, die Sache zu vertuschen; aber ich bin mit ihm direkt zu dem Mann gegangen, der es geschrieben hat – zu dem Mann in jenem Haus! Es ist in seiner Handschrift. Es ist mit seinen Initialen gezeichnet. Es ist eine Anweisung, wo man das Geheimnis dieses neuen geräuschlosen Sprengstoffs findet. Hirsch hat ihn erfunden; Hirsch hat diese Notiz darüber geschrieben. Diese Notiz ist in deutsch verfaßt, und sie wurde in der Tasche eines Deutschen gefunden. ›Sagen Sie dem Mann, die Formel für Sprengstoff ist im grauen Umschlag in der ersten Schublade links vom Schreibtisch des Kriegsministers, mit roter Tinte. Er muß vorsichtig sein. P.H.‹«
    Er rasselte die kurzen Sätze wie ein Maschinengewehr heraus, aber er war offensichtlich von jener Art Mann, die entweder verrückt ist oder recht hat. Die Masse der Menge war Nationalisten und bereits in bedrohlichem Aufruhr; und eine Minderheit gleichermaßen zorniger Intellektueller, angeführt von Armagnac und Brun, machte die Mehrheit nur noch militanter.
    »Wenn das ein militärisches Geheimnis ist«, brüllte Brun, »warum schreien Sie es dann in den Straßen aus?«
    »Das will ich Ihnen sagen!« brüllte Dubosc über die brüllende Menge hinweg. »Ich bin offen und höflich zu diesem Mann gegangen. Falls er irgendeine Erklärung hätte, sollte er sie in vollständiger Vertraulichkeit geben können. Er verweigert jede Erklärung. Er verweist mich an zwei Fremde in einem Café wie an zwei Lakaien. Er hat mich aus dem Haus geworfen, aber ich werde wieder hineingehen, mit dem Volk von Paris hinter mir!«
    Ein Aufschrei schien die Fassade des Häuserblocks zu erschüttern, und zwei Steine flogen, deren einer eine Scheibe über dem Balkon zerbrach. Der aufgebrachte Oberst stürzte sich erneut durch den Torweg, und man hörte ihn drinnen brüllen und donnern. Jeden Augenblick schwoll die menschliche See weiter und weiter an; sie brandete gegen die Geländer und Treppen am Haus des Verräters; es erschien bereits gewiß, daß man das Haus stürmen werde wie einst die Bastille, als sich die zerbrochene Glastüre öffnete und Dr. Hirsch auf den Balkon heraustrat. Für einen Augenblick wandelte sich der Zorn halb in Gelächter; denn in einer solchen Szene bildete er eine absurde Erscheinung. Sein langer nackter Hals und die sackenden Schultern bildeten die Gestalt einer Champagnerflasche nach, aber das war auch das einzig Festliche an ihm. Seine Jacke hing an ihm wie an einem Kleiderhaken; er trug sein karottenrotes Haar lang und ungepflegt; Wangen und Kinn waren von einem jener beunruhigenden Bärte umwuchert, die fern vom Munde wachsen. Er war sehr bleich, und er trug blaue Gläser.
    Fahl wie er war, sprach er doch mit so fester Entschlossenheit, daß der Pöbel zur Mitte seines dritten Satzes hin ruhig war:
    »…euch jetzt nur zwei Dinge zu sagen. Das erste gilt meinen Feinden, das zweite meinen Freunden. Meinen Feinden sage ich: Es stimmt, daß ich Monsieur Dubosc nicht treffen will, obwohl er gegenwärtig vor diesem Zimmer hier herumtobt.

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