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Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Titel: Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gilbert Keith Chesterton
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fragte Father Brown.
    »Sie sind es«, sagte sein Freund düster. »Es ist eine ungeschickte Fälschung durch jemanden, der vom richtigen Versteck nichts weiß. Sie behauptet, das Papier sei in dem Aktenschrank rechts vom Schreibtisch des Ministers. Tatsächlich steht der Aktenschrank mit der Geheimschublade ein Stück links vom Schreibtisch. Sie behauptet, der graue Umschlag enthalte ein langes Dokument, das mit roter Tinte geschrieben sei. Es ist nicht mit roter Tinte geschrieben, sondern mit einfacher schwarzer. Es ist offenkundig absurd zu behaupten, daß Hirsch sich über ein Papier geirrt haben kann, das niemand außer ihm selbst kennt; oder versucht hat, einem ausländischen Dieb zu helfen, indem er ihn anweist, in der falschen Schublade zu suchen. Ich glaube, wir müssen die Sache aufgeben und uns beim alten Rotkopf entschuldigen.«
    Father Brown schien nachzudenken; er schob einen kleinen Brätling auf die Gabel. »Sie sind sicher, daß der graue Umschlag sich im linken Aktenschrank befand?« fragte er.
    »Absolut«, erwiderte Flambeau. »Der graue Umschlag – es war in Wirklichkeit ein weißer – befand – «
    Father Brown legte den kleinen silbernen Fisch und die Gabel nieder und starrte seinen Gefährten über den Tisch hinweg an. »Was?« fragte er mit veränderter Stimme.
    »Wie, was?« wiederholte Flambeau und aß herzhaft.
    »Er war nicht grau«, sagte der Priester. »Flambeau, Sie machen mir Angst.«
    »Was zum Teufel macht Ihnen denn Angst?«
    »Ein weißer Umschlag macht mir Angst«, sagte der andere ernsthaft. »Wenn er doch nur grau gewesen wäre! Zum Henker, er könnte doch ebensogut grau gewesen sein. Aber wenn er weiß war, ist das ganze Geschäft schwarz. Der Doktor hat also doch wieder im alten Höllenschwefel herumgestochert.«
    »Aber ich sag Ihnen doch, daß er eine solche Notiz niemals hätte schreiben können!« rief Flambeau. »Die Notiz ist vollständig falsch im Hinblick auf alle Fakten. Und ob nun unschuldig oder schuldig, Dr. Hirsch weiß alles über die Fakten.«
    »Der Mann, der diese Notiz geschrieben hat, wußte alles über die Fakten«, sagte sein kirchlicher Freund nüchtern. »Er könnte sie niemals alle so falsch hingekriegt haben, wenn er nicht alles über sie wüßte. Man muß eine ganze Menge wissen, um in jeder Einzelheit falsch zu sein – wie der Teufel.«
    »Sie meinen –?«
    »Ich meine, daß ein Mann, der Zufallslügen erzählt, zufällig auch Stückchen der Wahrheit erzählt hätte«, sagte sein Freund fest. »Stellen Sie sich vor, jemand beauftragt Sie, ein Haus zu suchen mit grüner Tür und blauer Blende, mit Vorgarten, aber keinem Hintergarten, mit einem Hund aber keiner Katze, und wo man Kaffee trinkt, aber keinen Tee. Nun würden Sie sagen, wenn Sie ein solches Haus nicht fänden, wäre alles erfunden. Aber da sage ich nein. Ich sage, wenn Sie ein Haus fänden mit blauer Tür und grüner Blende, mit einem Hintergarten und keinem Vorgarten, wo Katzen üblich sind und Hunde sofort erschossen werden, wo man Tee literweise trinkt und Kaffee verboten ist – dann hätten Sie das Haus gefunden. Der Mann muß dieses bestimmte Haus genau gekannt haben, um so genau ungenau zu sein.«
    »Aber was soll das denn bedeuten?« fragte sein Tischgefährte.
    »Ich kann es mir nicht vorstellen«, sagte Brown; »ich verstehe diese ganze Hirsch-Angelegenheit überhaupt nicht. Solange es sich nur um die linke Schublade statt um die rechte handelte, und um rote Tinte statt um schwarze, so lange dachte ich, es könne sich um einen Zufallsirrtum eines Fälschers handeln, wie Sie sagten. Aber drei ist eine mystische Zahl; sie setzt Dingen ein Ende. Sie setzt diesem ein Ende. Daß die Angaben zur Schublade, zur Farbe der Tinte, zur Farbe des Umschlags alle durch Zufall falsch sein sollten, kann kein Zufall sein. Ist keiner.«
    »Was ist es denn dann? Verrat?« fragte Flambeau und wandte sich wieder seiner Mahlzeit zu.
    »Das weiß ich auch nicht«, antwortete Brown mit einem Ausdruck der völligen Verwirrung. »Das einzige, woran ich denken kann… Naja, ich habe die Dreyfus-Angelegenheit nie verstanden. Ich kann moralische Beweise immer leichter begreifen als andere. Ich richte mich nach den Augen eines Mannes und nach seiner Stimme, wissen Sie, und danach, ob seine Familie glücklich erscheint, und welche Themen er wählt – und welche er meidet. Na gut, in der Dreyfus-Sache war ich verwirrt. Nicht wegen der schrecklichen Dinge, die man sich gegenseitig anlastete; ich weiß

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